freiheit

Es ist brandgefährlich, ich mache mir große Sorgen. Man kann, finde ich, so nicht weitermachen. Wir müssen innehalten. Wir stehen an einem Scheideweg. 
Wir können abbiegen in eine Welt, in der wir scheinbar sicher sind, oder in eine, in der wir scheinbar frei sind. Ganz sicher oder frei können wir zwar nie sein, aber es ist für uns wichtig zu klären, was die Oberhand hat, was uns leitet, wohin wir uns leiten lassen wollen. Denn, abhängig vom Weg, den wir einschlagen, setzen wir unsere Prioritäten, bestimmen wir die Grundregeln unserer Gesellschaft, bestimmen wir, was führend ist und wie geführt wird. Ich befürchte, wir sind dabei falsch abzubiegen. In den Weg der Sicherheit.

Denn der Weg der Sicherheit wird uns in eine totalitäre technokratische Zukunft führen. Eine, in der nur das zählt, was scheinbar sicher ist, und nur das gilt, was dieser Sicherheit zuträglich ist. Denn Sicherheit erfordert Kontrolle, Einfachheit, Klarheit und Konformismus. Damit etwas sicher ist, müssen diese Eigenschaften erfüllt sein, sie müssen dominieren. 

Viel spricht für Sicherheit. Ist es nicht gut, wenn die Dinge klar, einfach, stabil und dauerhaft sind? Wer will das nicht? Alle sind gesund, geschützt, klar zu erkennen, überschaubar; die Verhältnisse stabil und einfach. Die einen hier, die anderen dort. Am besten wäre, alle nur von einer Sorte, das ist sicherer. Die Welt der Verwalter. Eine Welt, die verwaltet wird und in der das Risiko minimiert ist, kontrolliert wird und alles, was wir tun, dafür eingesetzt wird, dass das Risiko noch geringer wird.

Ich kann nachvollziehen, dass viele diesen Weg einschlagen wollen. Weil der Weg kurz ist und man ganz rasch an sein Ende gelangt. Er ist kurz und wenig beschwerlich. Dort, am Ende, kommt alles zum Stillstand, bewegt sich nichts mehr, ist alles sicher. Eine Sackgasse. Nur ein immer wiederkehrendes Kontrollieren des Status Quo gibt das Gefühl von Bewegung: Es ist aber nur ein in sich drehender Kreislauf der fortlaufenden Verwaltung. Wie ein Hamsterrad, das sich fortlaufend dreht und einem Halt und Sicherheit bietet. Denn aus der Sicht des Hamsters sieht sein Rad wie eine niemals endende Laufbahn aus. Es kommt also auf die Perspektive an: Wer sich sicher fühlt, merkt womöglich nicht, dass er die Freiheit verloren hat.

Jedoch wäre das Verwaltungsdenken und die Sicherheit in unserer Menschheitsgeschichte immer dominant gewesen, dann säßen wir noch auf den Bäumen. Dann hätten wir nie den Schritt gewagt, den Weg der Freiheit, der Gestaltung, einzuschlagen. Die „was wäre, wenn“-Frage hätten wir nicht gestellt. Das Risiko, bei der Suche nach einer Antwort kläglich zu scheitern, oder dabei von wilden Tieren gefressen zu werden, wären wir nie eingegangen. Nie hätten wir versucht, Neues zu denken, zu planen, zu bauen. Unser Verwaltungsdenken hätte uns das ausgeredet und uns überzeugt, dass es besser ist, nichts zu hinterfragen. Denn Sicherheit ist gut. Sie ist unser Garten Eden.

Trotzdem haben wir den Weg der Sicherheit verlassen, denn wir müssen gestalten und suchen die Freiheit. Gestaltung geht nur in der Freiheit, Neues entsteht nur in Freiheit. Wir haben den Garten Eden verlassen, einfach weil Freiheit besser ist als Sicherheit. Sie ermöglicht Fortschritt und Weiterentwicklung, im Guten wie im Schlechten. Ja, Freiheit ist unsicher, alles kann schieflaufen. Das, was wir entwerfen, kann uns um die Ohren fliegen, uns selbst zerstören. Viele Entwürfe der Welt haben ihren Entwerfern den Kopf gekostet. Neue Erkenntnisse und Entwürfe sind vor allem in den Augen der Verwalter eine Gefahr, gefährlich, gefährdend. Gestalter sind Gefährder, sie gefährden den Status Quo. Jedoch sind es die Entwürfe und deren Umsetzung, die unsere Welt weiter gestalten und voranbringen. Die unsere Welt lebenswert machen, mit all den Unsicherheiten, die daraus entstehen. Wie Otl Aicher sagte, „Ohne Entwurf ist der Mensch nur Beamter“.

Die Vernunft versucht die Waage zwischen Sicherheit und Freiheit zu erlangen. Wir wissen, dass wir wohl beides benötigen und dass es noch besser wäre, wenn weder das eine noch das andere dominiert. Pragmatisch gesehen wäre eine Welt, in der beides gleichberechtigt – sowohl als auch – vorhanden wäre, erstrebenswert. Aber geht das? Kann es eine sichere Freiheit oder eine freie Sicherheit geben? Ist dies nicht ein Oxymoron, das nur intellektuellen Hirnen entspringt? 
Viele Jahre habe ich versucht, diesen sowohl-als auch-Denken nachzuleben, versucht, die beiden Wege miteinander zu verbinden. Ich glaube jetzt, dass es nur einen Weg geben kann, den der Freiheit, des Entwurfs, der Gestaltung. Alles andere friert uns ein, führt uns in ein totalitäres Hamsterrad. Der Weg, den wir gehen müssen, ist der der Freiheit mit allen Konsequenzen. Das heißt nicht, dass es egal ist, wie wir entwerfen. Freiheit ist offensichtlich ein fragiles Gut, mit dem wir vorsichtig umgehen müssen. Vermutlich müssen wir es absichern. Aber zwingend in der Abfolge: Die Freiheit steht über der Sicherheit. Nie sollte ein Verwaltungsdenken oder eine Normierung vorschreiben, wo und wie man frei sein kann. Sondern die Freiheit sollte vorschreiben, wo und wie man verwalten und normieren darf. Es ist also nicht ein ebenbürtiges „sowohl als auch“, sondern ein konditioniertes: Die Sicherheit kommt aus der Freiheit, nicht umgekehrt!

Dies bedeutet, dass wir unser Gesellschaftsleben entsprechend gestalten und nach dieser Devise handeln müssen. Weil wir frei sind, können wir fahren, wohin wir wollen. Damit wir alle das auch immer wieder machen können, bauen wir Straßen und regeln den Verkehr. Weil wir frei sind, können wir uns verletzen und erkranken. Damit wir alle das überleben können, kümmern wir uns um die Gesundheit und bauen wir Krankenhäuser. Es kommt also auf die Reihenfolge an!

Dieses Maxim wird jetzt umgedreht. Jetzt gilt zuerst die Sicherheit, aus der die Freiheit entstehen darf. Jetzt wird erst verwaltet, danach gestaltet. Jetzt bauen wir Krankenhäuser und kümmern uns um die Gesundheit, damit die Menschen frei sein können. 

Für viele ist der Unterschied nicht relevant und manch einer würde sagen, dies sei doch Makulatur. Doch auf genau diesen Unterschied kommt es an! Wenn wir zulassen, dass zuerst verwaltet wird, damit Freiheit entsteht, dann geben wir den Verwaltern die Hoheit. Und sind die einmal am Zuge, dann ist die Freiheit ein Gegenstand der Verwaltung. Dann wird sie nur dann zugeteilt, wenn es opportun ist. Wenn es den Verwaltern passt. 
Da dies schon viele Male passiert ist und es uns viele Male mehr geschadet als genützt hat, sollten wir Obacht geben und dies nicht zulassen. Wehret den Anfängen. 
Und es hat jetzt angefangen, jetzt haben wir die Freiheit, nur weil die Verwalter es zulassen. Konditioniert und mit Bedingung. Für die, die im Hamsterrad rennen, ist das egal, die sehen die Konditionierung nicht. Für all jene, die nicht mitrennen, ist die Freiheit weg.

Freiheit in einer Gesellschaft ist mühsam und erfordert Arbeit. Ein Risiko bleibt immer bestehen, ganz sicher wird es nie. Verständlich, dass viele diese Arbeit nicht leisten wollen und sich verwalten lassen. Ich für meinen Teil bin für Sicherheit offen, habe gerne Halt und möchte sicher sein, dass mein Leben nicht aus dem Ruder läuft. Es ist mein Sicherheitsbedürfnis, das arbeitet, wenn ich mir um die Freiheit Sorgen mache, wenn ich merke, dass sich die Vorzeichen ändern, hin zu einem totalitären Sicherheitsstaat. Denn eins ist sicher: Wenn wir sicher sind, sind wir nicht mehr frei!

Antworte auf Jan-Erik Baars Cancel Reply

  1. Marcel M. Samstag sagt:

    Schöne Gedanken aus einem Land, in dem die “FDP” bestenfalls eine marginale Rolle spielt.
    Statt auf den einen Freiheits- oder den anderen Sicherheitskanon einzuschwenken halte ich es mit einem differenzieren Sowohl-als-auch: in gesundheitlichen Belangen tendiere ich mehr zu “Sicherheit”, in gesellschaft-/wirtschaftlichen Aspekten will ich frei agieren statt einfrieren.

    • Jan-Erik Baars sagt:

      Ja, Marcel, das wäre gut, wenn man sich das aussuchen könnte. Was aber, wenn nur noch das Eine gilt? Ich befürchte, bald kann man sich das nicht mehr aussuchen, dann gilt nur noch das, was „sicher“ ist. Also, am Ball bleiben und aufpassen!