gerupft

Der Winter ist vorbei, endlich. Wirklich ‚bilderbuchhaft‘ war er ja nun nicht, oder?
Der Sonnenmangel und der späte Frost ließ viele von uns schier verzweifeln und dazu verlocken, sich auf Facebook, an Stammtischen oder an der Supermarktkasse lauthals über das Unvermögen des Wetters aus zu lassen: Auf nichts ist Verlass! Wer denkt sich denn so ein Wetter aus!

Natürlich sind wir es, die sich das Wetter ausdenken, jedoch in der Gestalt, dass es unseren Idealvorstellungen entsprechen muss – und nicht der rauen Wirklichkeit. Das Wetter lässt sich nun mal nicht ‚gestalten‘ – wohl eher beeinflussen und das ist ja auch schon mal ein Anfang!

Für einige Berufsgattungen jedoch ist die kalte Jahreszeit ein wahres Vergnügen! Neben den Besitzern von Sonnenstudios sind es vor allem Holzfäller, die sich über viel Umsatz freuen können – und je länger der Winter, desto länger das Fällen! Also kann man überall die Kettensägen qualmen und die Holzspäne fliegen sehen – das geht so sicher bis weit in den März hinein. Dabei legen sich die ‚Landschaftsgestalter‘ derart ins Zeug, dass man sich wundert, ob man überhaupt noch mit dem Phänomen ‚Baum‘ oder ‚Strauch‘ plant in Zukunft. Wird alles ‚abgeholzt‘?

Da das bewusste Eingreifen in den Ablauf der Ereignisse Kernthema des Designs ist, ist somit auch das Fällen von Bäumen und das Beschneiden von Sträuchern ein Akt der Gestaltung. Der Mensch gestaltet die Natur nach seinen Vorstellungen und es reicht ihm nicht in Vorgärten oder Parklandschaften Selbstgezüchtetes anzupflanzen, sondern er zupft gleich die ganze Natur zurecht.
Gut zu beobachten ist dieser Gestaltungswahn (oder ist es ein Verwaltungswahn?) entlang der deutschen Autobahnen und der Bahntrassen. Genau da will die Natur scheinbar mit aller Macht gegen die Gestaltungs- und Planungswut der Menschen vorgehen und lässt die Sträucher und Bäume recht flott in die Höhe schießen. Für die Benutzer dieser Trassen, wie auch für die Anwohner, eigentlich eine willkommene Sache, denn so fühlt sich das Autofahren weniger ‚schädlich‘ an – und der Lärm wird ‚natürlich‘ gefiltert.

Im Winter sieht die Sache ganz anders aus: entlang der Autobahnen stapeln sich die Holzabschnitte und Berge mit Ästen und das abgerupfte Grün (man schneidet nicht, mehr lässt eine Maschine rupfen) gibt jetzt den Blick frei auf Industriegelände, dubiose Wohnsiedlungen, verfallene Hallen, Schrottplätze und desolate Fabrikanlagen. Einziger Lichtblick ist, dass man jetzt öfter in der Ferne nette Mittelgebirge, weite Ackerflächen und auch Seen, die zum Schlittschuhfahren taugen würden, erhaschen kann.
Was dieser Abholz-Wahn aber auch freilegt, ist das, was sich über die Jahre zwischen dem ‚Grün‘ so angesammelt hat: Berge von Müll, Plastik und Bierflaschen, Dosen und Tüten tauchen jetzt auf, in einem Bett von Sägespänen. Und sie zeigen, wie doppelt-doof wir doch sind.

Ich dachte immer, man macht das nicht mehr: Umweltverschmutzung. Schon das Wegwerfen einer Bananenschale beim Radeln tut weh und verursacht bei mir Schuldgefühle. Bin ich ein Trottel, habe ich etwa eine überzogene Vorstellung davon, wie unsere Umwelt ‚gestaltet‘ sein sollte? Erliege ich einem ‚Designerwahn‘, der alles nach ästhetischen Gesichtspunkten geordnet sehen will? Oder bin ich ein romantischer alter Sack geworden, ein ‚Wutbürger‘?

Mal ganz losgelöst von dieser Fragestellung, halten uns die Autobahn und auch die Bahntrasse einen Spiegel vor: Dieser zeigt uns, dass es uns egal ist und dass wir uns nicht anstrengen, unsere Umwelt zu pflegen – wir rupfen sie nur zurecht. Und weil es uns egal ist, kippen wir unseren Abfall gleich hinzu. Wie absurd eigentlich, dass wir unsere durchgestylten Autos so abgöttisch lieben und diese durch eine Müllhalde spazieren fahren! Und noch perfider, dass uns die durchgestalteten Städte weit wichtiger sind, als viele Landstriche drumherum – oder stinken Autos nicht in der Schneeeifel?

Um dem Ganzen Abhilfe zu schaffen, stellt die Straßenmeisterei neuerdings wieder Landschaftsdesigner ein, damit der öffentliche Raum mehr hermacht. Doch auch dies ist wiederum eine typische Symptombekämpfung, wie so oft, wenn Designer ans Werk gelassen werden. Um den Ursachen auf den Grund zu gehen, braucht es sicher mehr als einen Landschaftsentwurf und dann die Putzkolonne – es braucht ein Social-Design, das den Menschen zurechtrupft!

Na ja, zum Glück ist jetzt der Frühling da und erwacht die bereinigende Kraft der Natur – sie deckt allen Müll mit einem Mantel aus Trieben und bald darauf mit Blüten zu. Wie lange sie das wohl noch für uns macht?

Antworte auf Jan-Erik Cancel Reply

  1. ha sagt:

    Lieber Jan-Erik, lange habe ich nichts kommentiert, diesmal juckt es mich wieder unter den Fingernägeln, weil es ein sehr weitreichendes – nicht nur Designthema ist! Die generelle Frage, die ich mir als Privatperson und aus Designersicht stelle, ist, ob das, was wir seit Jahrhunderten mit der Natur anstellen „Kultur“ im Sinne von kultivieren, oder nur billiges „zurechtrupfen“, wie du es nennst, ist? Denn obwohl wir uns um die Recyclierung bzw. Beseitigung von neu geschaffenen Produkten nicht ausreichend die Mühe machen und unkontrolliert entsorgen, forcieren wir auch als Designer ständig die Produktion von neuen Dingen! Kultur ist meiner Meinung nach etwas nur, wenn es nachhaltig eine Verbesserung, einen Mehrwert für die Gesellschaft bringt. Vielleicht ist die Natur der bessere Designer bzw. Stylist , auch wenn sie die Kollateralschäden nur saisonal kaschiert. Nachhaltig allerdings nicht, da müssten wir uns schon als Verursacher bzw. indirekte Verursacher als Designer was überlegen. Aber wie schafft man es als Designer, Kunden davon zu überzeugen, das eine, oder andere, billige, nicht ins Portfolio passendende Produkt zu entfernen, dafür die anderen aufzuwerten, nachhaltiger zu gestalten, teurer zu machen, weil weniger davon produziert/ verkauft werden und da man Verluste aus anderen Bereichen kompensieren muß, und dafür auch noch gutes Geld zu verlangen? Aber ich denke, das wäre zumindest ein lohnenswerter Ansatz, nicht nur „Kult Design“ , sondern einen Designkult durch wiedergewonnene “ Design Kultur“ zu schaffen!

    • Jan-Erik sagt:

      Hallo Harald, na, da habe ich geahnt, dass Du antworten würdest! Wegen des Buches sind einige Gedanken ‚liegen geblieben’…
      Bin einig mit Dir: Das Wort Kultur kommt von „Acker“, ganz passend hier, wie ich finde.

      • ha sagt:

        Ja, hast recht! Hatte ja gerade meinen 50er – da sieht man das Alles mehr im Zusammenhang, glaube ich. Auf dieser momentanen „Euphorie – Melancholiewelle“ treibend, möchte ich dir gerne auch noch für deine Inspiration, beginnend mit dem Interior Projekt auf der FH Joanneum, über die zahlreichen interessanten Blog Beiträge auf designfokus, danken. Ich wage zu behaupten, dass diese mein Leben in vieler Hinsicht positiv beeinflusst und meinen Zugang zum Design(beruf) geschärft haben. Insofern bist du sicher einer der zahlreichen „Inspiratoren“, ohne jetzt unnötig reinschleimen zu wollen 😉 Freue mich schon auf weitere Designthemen wie zB. Drohnen, UAVs, VTOLs, future mobility of society, was ja momentan in aller Munde ist und mich beruflich, wie privat sehr beschäftigt.
        Danke für Inspiration und Motivation!
        lg Harald
        P.s. Vielleicht sollte ich einfach selbst ein Medium finden, was Gescheites darüber zu schreiben…

      • Jan-Erik Baars sagt:

        Hallo Harald, vielen Dank für die lobende Worte! Ich hoffe, dass ich aus in Zukunft zur Inspiration beitragen kann!!
        Stimmt, in Graz hat meine „Dozentenarbeit“ angefangen, toll dass Du mit dabei warst. Ich kann es nur empfehlen, das Schreiben: sortiert die Gedanken und ist zudem ein Ventil 😉
        Liebe Grüsse. Jan-Erik