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Als die revoltierenden Bürger von Paris die Einführung von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit forderten, hatten sie eine andere Gesellschaftsform vor Augen: Weg mit dem Establishment, dem Ancien Régime, das sich schmarotzend der Arbeitskraft der gemeinen Bevölkerung bediente, hin zu einer menschlichen und gerechteren Form des Zusammenlebens! Es sollte mehr sein, als bloß ein Re-Design des alten feudalen Systems: jetzt sollten alle in den Genuss kommen dürfen!

Im Verlauf der Jahre wurde die Losung der Franzosen über die Welt getragen und fand sich in den Wahlsprüchen vieler Bewegungen wieder. Dass im Verlauf die Brüderlichkeit durch Solidarität ersetzt wurde, ist nicht nur der Gleichheit der Geschlechter geschuldet, es trifft es auch besser auf den Punkt. Solidarität ist ein Eckpfeiler einer gut gestaltenden Gemeinschaft: Sie sorgt dafür, dass die Gemeinschaft als solche überhaupt eine Freiheit erlangt und dass sich nicht bloß die Vorzeichen im ‚großen Absahnen‘ ändern – Solidarität sorgt dafür, dass alle Teilnehmenden einer Gesellschaft eingeschlossen sind, nicht nur die „Brüder“.

Denn Zusammenhalt ist nicht nur in Zeiten von Unterdrückung und Revolution eine Tugend, die zukunftsfördernd ist: auch in guten Zeiten ist Solidarität eine Eigenschaft, ohne die man nicht wirtschaften kann. Wenn ein Unternehmen nicht auf eine Belegschaft bauen kann, die zusammenhält, wird es mit der Solidarität der Kunden nicht viel besser gestellt sein. Es schallt halt immer noch so heraus, wie man hineinruft: Wenn Unternehmen sich wie feudale Ausbeuter gebärden, dann quittieren die Kunden es ihnen durch Misstrauen (und folgen sofort dem billigsten Jakob).

Inzwischen wissen alle Unternehmenslenker, wie wichtig die Solidarität ist, und handeln danach: In regelmäßigen Befragungen wird die Solidarität zum Unternehmen gemessen, sowohl intern bei den Mitarbeitenden, als auch extern bei den Kunden. Und sie stellen dabei fest, dass die gemessenen Werte korrelieren: Wen wundert’s!
Wenn es doch mal zu einer Ausbeutung von Kunden kommt, zum Beispiel in dem man mit Tatsachen schummelt, dann folgt meist die Retourkutsche postwendend und setzt dem Unternehmen zu. Gleiches zeigt sich im Übrigen auch in der Solidarität zur Umwelt…
Obwohl Solidarität also eine Grundvoraussetzung für den Erfolg jeder Form des Zusammenlebens ist, verwundert es umso mehr, wie schwer wir uns selber damit tun. Meist wachsen wir von Kindesbeinen an mit dem mutmaßlichen Gegenteil auf, mit Autorität und Individualität. Wir werden immerzu animiert, uns auf individuelle Ziele zu fokussieren (selten, dass mal eine Schulklasse eine Note bekommt!) Manche glauben daher fest daran, dass sie später ganz alleine zurechtkommen oder dass sie, wenn sie mal reich genug sind, von ihrem Geld leben können…
Die Art und Weise, wie manche mit Flüchtlingen umgehen, sagt ja auch einiges aus.

Die Welt hat nicht auf den Menschen gewartet, im Gegenteil: Der Mensch ist eher ein evolutionäres Missgeschick, ein Sonderfall. Wohl auch deshalb reden wir uns ständig ein, es müsse einen besonderen Grund geben, dass wir da sind, dass eine höhere Macht uns mit der Aufgabe versehen hat, die Welt zu gestalten und sie sich untertan zu machen. Letzteres begann dann wohl, als wir uns vom Baum, auf dem wir alle hockten, entfernten, um nachzusehen, was es Besseres gäbe.

Der Antrieb unserer Spezies ist nämlich das Design und nicht das ‚Sein‘ und die Grundvoraussetzung für gelungenes Design ist Solidarität – wie weit wären wir vom Baum weg gekommen, wenn andere uns nicht den Rücken frei gehalten hätten? Ohne den anderen kommen wir nirgendwo hin! Ebenso ist ein Design, ohne den Nutzen für andere im Sinn, ein Akt des Egoismus, der in ‚Umweltverschmutzung‘ endet- und noch lange keine Kunst.

Ebenso verhält es sich mit jenen Zeitgenossen, die auch nur sich im Sinn haben und der Gestaltung der Welt auf der Basis von Solidarität nicht folgen: Auch sie sind eine ‚Umweltverschmutzung‘. Es fragt sich, ob sich diese Form der Verschmutzung irgendwie von selbst auflöst, oder ob es eine neue Auflage der französischen Revolution braucht?

Womöglich war das Ancien Régime, mit ihrer absolutistischen Gangart, gar nicht von gestern, sondern ist ein Dauerproblem der Menschheit! Bekommen wir tatsächlich den Hals nicht voll und wollen wir alle nur das Beste für uns – und eben nicht für uns alle?

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