speziell
Er war wirklich ‚speziell‘, sehr höflich gesagt.
Nein, er war ein regelrechter Choleriker, ein Hysteriker und narzisstisch dazu, getrieben und penetrant, engstirnig und nachtragend. Er ließ nicht locker, war rüde und direkt, konfrontierend, unsensibel und obsessiv darin, dass alles, was er tat und andere für ihn taten, einfach nur perfekt sein musste. Irrsinnig großartig eben.
All dies klingt nicht nach einem Menschen, dessen Tugenden man vor einer Klasse von Schülern oder vor Studenten loben müsste, geschweige denn zur Nachahmung weiter empfehlen – und trotzdem möchte ich nichts lieber tun. Der Mann, der in den letzten Wochen viel beleuchtet wurde und dessen Autobiografie ich gerade gelesen habe, ist alles andere als ein Vorbild im direkten Sinne, wohl aber im übertragenen Sinne. Und vor allem ist er ein Vorbild für alle, die wie er die Bedeutung des Designs erkennen und dies ausleben wollen.
Er lebte, was Design ist: Er designierte, bestimmte, gestaltete, verbesserte und motivierte, alles mit dem Ziel, die Geschicke der Abläufe zum Besseren zu verändern (so wie er es sah). Die Motivation, die ihn dabei vorantrieb, kam von innen; Nur scheinbar reagierte er direkt auf Impulse von Außen: Denn erst als er diese Impulse innerlich verarbeitet hatte (was durch seine ’spezielle‘ Persönlichkeit wohl intensiviert wurde), entstand daraus ein Antrieb zum Handeln und Urteilen. Das, was er tat, tat er mit einer ungeheuren Motivation, die wohl offensichtlich viel stärker war, als sein Körper letztendlich aushalten konnte…
Da ertappe ich mich dabei, dass ich überlege, was gewesen wäre, hätte ich so eine Motivation gehabt: Dann wäre ich tatsächlich ausgeflippt, als ich Produkte gestaltete, die nicht gut waren, die keinen wirklichen Sinn machten. Ich hätte sie selber nie verwendet, geschweige denn, sie meinen Freunden empfohlen.
Warum habe ich nicht revoltiert, so wie er es getan hat, und bin zum Zimmer des CEO hinein, um ihm den Mist für die Füße zu knallen? Warum bin ich nicht penetrant geblieben und habe beharrlich und unbeirrbar darauf bestanden, dass es gereicht hätte, nur eine Produktvariante zu entwickeln und auf den Markt zu bringen, statt eine ganze Armada davon – und dass man besser die Mittel in ein einzoges, aber dafür perfektes Produkt gesteckt hätte, statt in viele nur halbherzig. Nach Außen bin ich jedoch nicht ausgeflippt, nur innerlich. Lag es an meiner Motivation, daran, dass ich nicht ‚speziell‘ genug war, oder gar an beidem?
Was mich an der Geschichte dieses Mannes so beeindruckt, sind nicht nur die Errungenschaften seiner Firma und die Qualität seiner Produkte, sondern es ist die Entschlossenheit seines Handelns und die Motivation, die ihn vorantrieb. Er hielt nichts von Marktuntersuchungen und Analysen, er folgte seinem inneren Antrieb. Er gestaltete die Dinge in der Weise, wie er sie haben und auch selber nutzen wollte – und damit lag er wesentlich besser, den Wunsch des Konsumenten zu treffen, als all jene, die sich von anderen haben leiten lassen und Produkte machten, die sie selber nicht kannten und selber auch nicht nutzten.
Ob verrückt oder genial (was ja bekanntlich nicht wirklich verschieden ist), seine Geschichte zeigt, dass man sich nicht damit zufrieden geben darf, nur etwas zu leisten, man muss das, was man tut, ‚meistern‘. Egal ob man einen Bus lenkt, einen Schrank baut, vor einer Klasse steht oder einen Weltkonzern leitet, man meistert seinen Job dann, wenn man das Resultat seines Schaffens selber gerne nutzt und wenn die Motivation, dies zu schaffen, von innen kommt.
Dass das so ist, wusste mein geliebter Großvater, als mir er sagte: „Wenn ein Obstbauer sein eigenes Obst nicht isst, ist er nichts!“
Da frag ich mich, wie die Welt wäre, wenn alle mit Herzblut ihr Leben ‚meistern‘, oder ist das etwa zu ‚speziell‘?