ratlose designer
Die Stimmung war eher gedrückt, etwas ratlos vielleicht auch. Die Leidensgenossen waren sich einig, dass sich gerade etwas grundlegend ändert – und dass sie dabei in Mitleidenschaft gezogen werden. So sehr sie sich immer für Veränderung ausgesprochen hatten, in den vielen erhitzten Debatten mit Kunden und Auftraggebern, so wussten sie jetzt nicht recht Rat, wie mit der Situation umzugehen. Die Existenz ihrer Berufsgattung steht auf dem Spiel!
Die diskutierende Truppe waren alle Industriedesigner, die sich anlässlich einer Veranstaltung zum Thema ‚Design Thinking‘ trafen und anschließend beim Umtrunk das Gehörte reflektierten. Und da auch ich vom Schlage der klassischen Produktgestalter bin oder war, gesellte ich mich dazu und fand mich recht bald in einer angeregten Debatte, die mit folgenden Kernfragen gespickt war: Stirbt das Industriedesign etwa aus? Übernehmen die User Experience, Interface, Experience und Service Designer die Gestaltungshoheit und bleibt dabei für die handfeste Gestaltungsarbeit am ‚Objekt‘ nur noch ein Schattendasein: Eine Aktivität, die man am Rande und ‚so nebenbei‘ erledigt, oder besser noch, die man an einen Spezialisten für Produkt- oder Industriedesign ‚auslagert‘ – weil sie eh nicht im Zentrum steht?
Stirbt das gute Industriedesign etwa aus?!
Aufgebracht wusste ein Kollege zu berichten, dass er in der letzten Zeit mehr Aufträge von anderen Design-Büros bekäme, als von direkten Kunden. Von vielen dieser Büros hätte er vor 2 Jahren noch nie gehört, geschweige denn gewusst, was die so treiben! Es stellte sich heraus, dass sie riesige Aufträge bei großen Konzernen haben und Millionen umsetzten. Wenn dann hie und da etwas ‚Produktdesign‘ anfällt, dann vergeben sie das an lokale Produktdesigner mit entsprechender Erfahrung.
Auch ein anderer berichtete über einen Rückgang der Projekte, vor allem im Umfang würde gekürzt und die Budgets würden ständig gedrückt. „Immer höre ich, dass man mehr Budget für die Gestaltung der Nutzeroberflächen bräuchte. Letztens fragte ein Kunde, ob ich vielleicht auch ‚Wire-frames‘ und ‚Experience-flows‘ gestalten könne. Kinders – was soll das werden, wenn die sich noch nicht mal ein gutes Produktdesign leisten können! „Da wackelt doch der Schwanz mit dem Hund“, schloss er ab, sichtlich unzufrieden über die Situation.
Als ich dann die Frage einwarf, ob sich das Produktdesign nicht überhaupt in den Schwanz verlagert hätte, sprich hinten angehängt würde, gab es kein Halten mehr! Ob ich denn vergessen hätte, dass das Produkt schließlich doch der Kern jeder Beziehung zwischen Unternehmen und Kunden wäre? Schliesslich reden doch alle vom iPod- und nicht von iTunes oder iOS oder was es sonst noch so an ‚User Experience‘ gibt… Apple sei doch schließlich durch sein Produktdesign so groß geworden, oder etwa nicht?
„Mag wohl sein“, warf ein anderer nachdenklich ein, jedoch wäre der Aufwand für eine Softwaregestaltung tatsächlich wesentlich größer als für die Hardware und daher nicht verwunderlich, dass sich mehr tut auf jenem Gebiet des Designs. Kern hin oder her, der Aufwand für die Gestaltung einer ‚Experience‘ mit Hard- und Software läge wohl in der Software. Da gäbe es nichts zu rütteln.
Mein Einwurf, dass wir Produktdesigner etwas mehr auf die anderen zugehen sollten, trug nur wenig zur Besserung der Stimmung bei. „Willst Du etwa sagen, dass ich mir dann von so einem User-Experience-Typ sagen lassen muss, wie ich meine Designs zu machen habe?“ – reagierte einer sichtlich irritiert- „oder vielleicht noch von so einem Designmanager? „Die haben doch alle von Produktdesign gar keine Ahnung!“
Das Ganze wirkte auf mich wie ein Treffen von Bleisetzern, die sich gemeinsam eine Software für Layout-Gestaltung anschauen: fasziniert und entsetzt zugleich, mit der Gewissheit, dass sie sich anpassen müssen, wenn sie im Geschäft bleiben wollen.
Das Treffen kam aber doch zu einem guten Ende, als wir uns darauf einigten, dass Produktdesign genauso relevant für ein Erlebnis ist wie alle anderen Designmaßnahmen – man muss nur alle aufeinander abstimmen, damit ein größerer Nutzen und Wert entsteht. Tja, und da müssten eigentlich alle Designer aufeinander zugehen, statt sich in Experten-Silos einzubunkern. Ja, auch wir Produktdesigner…
Und genau hierin liegt immer noch die große Herausforderung: Die Designer der verschiedenen ‚Gattungen‘ kennen einander und den jeweiligen Beitrag, den sie erzeugen, nicht gut genug, sie sind nicht übergreifend vernetzt. Entsprechend gibt es auch keine Designer und auch keine Agenturen, die das ‚integrierte Design‘ beherrschen, sprich, die alle Designaufgaben, die bei der Gestaltung eines Erlebnisses oder Services anfallen, selbst ausführen können. Für ein gelungenes Kundenerlebnis braucht es jedoch immer ein perfektes Zusammenspiel aller beteiligten Gestalter, quasi ein Symphonieorchester von Gestaltern. Offensichtlich bedarf es, ähnlich wie im Fach der Musik, jemanden, der alle zusammenführt und aufeinander einstimmt. Wer macht den Anfang: etwa das Produktdesign?