politisch

„Wie kann Design gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Herausforderungen meistern?“
So oder ähnlich lauten viele Posts auf LinkedIn dieser Tage. Ganz so, als ob Design eine Person wäre, die mit einer eigenen Methodik und einer eigenen Weltanschauung, ganz aus eigener Kraft, selbstbestimmt die Geschicke der Zeit angeht.

Design hat, so die Experten, eine eigene Haltung, eine eigene Meinung, ein eigenes Ziel und daher eine eigene Aufgabe. Die Prinzipien des Designs sind also eindeutig. Sowieso ist alles, zu dem Design beitragen soll und muss, im Prinzip gut und zwingend notwendig, damit die Welt sich zum Besseren wendet. Und weil Design so eindeutig ist (und eben nicht mehrdeutig), beschäftigt es sich ausschließlich mit den Dingen, für die es nur EINE richtige, gute Form gibt: die Demokratie, die Politikdie Gesellschaft und die Wirtschaft. Wenn Design so eingesetzt wird, stellt sich die gute Form von selbst ein und die Herausforderungen werden gemeistert.

Für mich klingt diese Auslegung des Designs, mit Verlaub, nach Doktrin und genau wie das Gegenteil von dem, was Design der Welt zu bieten hat. Aber vielleicht lese ich das falsch und verwechsele den Sinn und Zweck von Design? Daher ist folgende Frage wohl berechtigt: Ist Design nun ein Mittel zum Zweck, oder ist der Zweck das Mittel für Design? 
Für mich scheint es so, dass sich hier mindestens zwei Lager entwickeln, die eine unterschiedliche Perspektive auf die Rolle von Design haben. Eine klare Antwort verbucht jedes Lager für sich, wobei das eine wesentlich lauter von sich hören lässt als das andere.

Das dominante Lager sieht in den „Herausforderungen“ ein Spielfeld für die Realisierung eines Ideals, das im Vorfeld bereits gestaltet wurde. Für sie ist Design ein „demanded outcome“, ein nötiger Endzustand. Da werden die Ideale einer „Vorgestaltung“ dergestalt angewandt, dass die Welt eine (von Idealisten) vorbestimmte Wendung nimmt. Dabei wird das Zweckhafte unserer Welt (die vielen Herausforderungen!!) zum Gegenstand einer Gestaltungsarbeit, mit dem Ziel, die „richtigen“ und „guten“ Ergebnisse zu erzeugen. Dies gleicht dem Bestreben nach „equality of outcome“, einem Dogma der Sozialisten, welches sicherstellen möchte, dass alle Entwicklungen das gleiche und vorher bestimmte Endergebnis erreichen. In diesem Kontext richtet sich Design primär auf soziale Gefüge, weniger auf die Gestaltung von Artefakten. Daher wundert es nicht, dass diese Perspektive auf Design in der „woken“ Community großen Anklang findet und daher auch die momentanen Diskurse in der akademischen Welt dominiert – und darüber hinaus auch die fachlichen Inhalte bestimmt. In den meisten Design-Diskursen geht es um die gestaltete Welt, nicht um die Gestaltung der Welt. Da vorher klar ist, was geschehen soll, gilt es primär alle einzuschwören, den eingeschlagenen Weg mitzugehen.

Daneben stehen jene, die Design als Mittel zum Zweck betrachten. Sie gehen davon aus, dass es viele Wege gibt, Herausforderungen anzugehen, und dass es ebenso viele und unterschiedliche Endresultate geben muss. Nicht ein einziger „Masterplan“ steht am Anfang einer Gestaltung, sondern viele „Master“, die mit ihren Fähigkeiten in der Lage sind, den Weg hin zur Lösung zu gestalten. Aus dieser Perspektive ist Design eine Technik, die wir „meisterlich“ anwenden, um so diverse Möglichkeiten zu entwickeln, um gewünschte Ergebnisse zu erzeugen. Dabei ist der Zweck, den man gestaltet, immer eines, das dem Nutzer und Empfänger dient, und nicht dem Designer. Nicht der Designer wünscht sich was, sondern der Empfänger. Design ist hier die Arbeit von „Meistern“, die verschiedensten Zwecken dienen, die divers und vielfältig sind. Entsprechend gibt es kein übergeordnetes Prinzip oder Dogma, das hier greift und lenkt, sondern die Prämisse der fachlichen Qualifikation, zweckgerecht gestalten zu können, anhand von Prämissen, die sich für jeden Zweck neu ergeben. Ja, und das bedeutet, dass auch für Zwecke gestaltet wird, die manche als unredlich bezeichnen würden, andere sich aber wünschen. Design ist auch hier politisch, aber halt in allen Richtungen offen…

Die beiden Perspektiven wirken auf den ersten Blick ähnlich. Es sind dieselben Begriffe, Methoden und Fähigkeiten, die benötigt werden. Design führt in beiden Ansätzen zu einer Veränderung der Ausgangslage. Unterschiedlich ist die Disposition der Designschaffenden, die agieren.
Nicht unähnlich ist es in der Musik – ich berichtete mehrfach darüber. Auch dort gibt es Methoden und Fähigkeiten, Geräusche in Töne und Gefühle in Melodien zu übersetzen, sodass eine Musik entsteht, die ein Publikum begeistert. Professionelle Musiker können für sich entscheiden, ob sie ihre eigene Musik aufführen oder vom Blatt abspielen. Niemand käme auf die Idee, dass es nur einen einzigen Weg gäbe, Musik zu erzeugen, egal ob selbst verfasst oder aufgeführt. Musik ist vielfältig, wie gutes Design. Gute Musik bedingt ein Können, wie gutes Design. Musik hat ein diverses Publikum, wie auch Design. Manche Musik gefällt anderen nicht, wie Design. Das Design – ähnlich der Musik – umfasst das Designen sowie auch das Designergebnis. Und wie bei guter Musik gehören Designen und Design zueinander wie Orchester und Partitur. Das, was das Publikum am Ende wahrnimmt, ist immer eine Mischung aus beiden.

Was am Ende gefällt, entscheidet das Publikum. Und das ist bekanntermaßen eigen. Wahre Künstler scheren sich nicht ums Publikum und machen ihre eigene Kunst, auch dann, wenn sie nicht angenommen wird. Design jedoch ist keine Kunst, sondern Zweckerfüllung. Daher muss Design auf sein Publikum schauen, damit es relevante Gestaltung betreibt. Wenn Design dem Publikum nicht „gefällt“, wenn es nicht angenommen wird, hat es seinen Zweck nicht erfüllt. Daher kann Design nicht bloß die Meinung, die Methode oder das Prinzip eines Masterplans oder einer dominanten Gesinnung sein. Design muss den Zweck für das Publikum begreifen und in der Gestaltung anwenden, sodass relevante und differenzierte Lösungen entstehen.

Bei der Frage also, ob Design „gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Herausforderungen meistern“ kann, sollte man also klären, wer hier das Publikum ist. Wer behauptet, dass hier schlicht alle gemeint sind, hat den Anspruch, für alle zu denken. Geht das überhaupt, darf das? Ich wäre vorsichtig, diesen Anspruch zu erheben und realisieren zu wollen. Das Risiko ist groß, dass große Teile des Publikums das Design ablehnen, was doppelt doof wäre. Aber es kann ja auch sein, dass das Publikum nichts zu sagen hat und einfach etwas vorgesetzt bekommen soll – auch wenn es nicht gefällt. 
Design ist ein mächtiges Werkzeug. Es vermag die menschgemachte Welt so zu gestalten, dass sie gefällt und dienlich ist. Die Frage ist, wem. Vielleicht gibt es hierauf nie eine klare Antwort? Vielleicht ist aber auch das Design selbst das verflixte Problem, das sich nicht lösen lässt? 

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