gestalten

Der Para­dig­men­wandel führt unsere Gesellschaft ins Wissenszeitalter und sorgt dafür, dass sie ‚verflacht‘: Statt hierarchisch überein­an­der, sind die Gesellschaftsschich­ten nun nebeneinander ange­sie­delt. Diese flachen Strukturen werden noch verstärkt durch das Aufkommen der neuen ‚flachen‘ Technologien: Alles wird digital. Das Internet und digitalisierte Inhalte erlauben den schnel­len Zugriff und den schnel­len Austausch von Informationen und Gütern aller Art. Die Rolle des Menschen in dieser neuen Zeit entwicklet sich von der eines Arbeiters zu der eines Konsumenten – so sähen es die Hersteller zumindest gerne.

Erfolgs­faktor Erlebnis

Die Nivelliierung unserer Gesellschaft hat aber auch dafür gesorgt, dass die Technologie seine einsttige domini­nante Rolle als Triebfeder der Industriegesellschaft verliert: Jetzt dreht sich alles um das Erlebnis! Wie die Ökono­men Pine und Gilmore feststellten, wird die Wirtschaft sich zunehmend auf die Erlebniswünsche von Menschen richten müssen, statt auf die Befriedigung der Märkte, wenn sie Mehrwert erzielen will. Denn Mehrwert lässt sich nicht mehr durch technologische Führerschaft allein, sondern vornehmlich durch dif­fe­ren­zie­rende Erlebnisse erzeu­gen.
So oder so, der Mensch rückt in den Mittelpunkt! Und dies ist für die immer noch industriell-denkenden Unternehmen eine echte Herausforderung. Denn Menschen sind nicht logisch, nicht gleich, nicht eindeutig und das Gegenteil von maschinell. Will man den vernetzten und erleb­nis­ori­en­tier­ten Men­schen für sich gewin­nen, rei­chen die alt­her­gebrach­ten Denk­mus­ter des indus­tri­el­len Managements nicht mehr aus.

Das Ende des indus­tri­ellen Denkens

In der industriell-dominierten Wirtschaft ging es immer darum, ein Problem zu analysieren, um dann eine schnelle und effiziente Umsetzung zu bewirken – sozusagen direkt vom Kopf in die Beine. Je schnel­ler die Umsetzung, desto höher die Chancen auf einen Wettbewerbsvorteil. Wer aber irra­tio­na­len Wünschen einer Erlebnisgesellschaft genügen will, braucht mehr als ein effek­ti­ves Arbeiten der Manager, sondern ein Herz für die Kunden und einen Prozess, der krea­tive Abstraktion als Lösungsweg mit einbezieht. Das desi­gn­hafte Vorgehen, oder auch Human Cognitive Design, nutzt sozusagen den ganzen Körper und nicht nur den Kopf – auch Bauchgefühl und Empathie spielen eine Rolle.
Welchen Unterschied diese vorgehensweise bewirken kann, zeigten einige Beispiele aus der Medizintechnik, wo man lange ein rein rationelles Denken nutzte, um zum Beispiel Röntgen-Geräte zu gestalten und sie im Klinikgebrauch einzusetzen. Die fa­ti­sche Analyse war eindeutig, als man feststellte, dass der Einsatz eines CT-Scanners in der Pädiatrie zu teuer sei: Kinder sind oft ängstlich, schlecht zu führen und die Aufnahmen daher oft etwas verwackelt, was wiederum zu mehr Strah­len­belastungen durch noch teu­rere Wie­der­holungen führte. Die logische Konsequence ist eine Steigerung der Effektivität in der Nutzung, z. B. durch eine Sedierung der kleinen Patienten (was dann oft praktiziert wurde) oder eine Kostenreduktion der hoch­kom­plexen Geräte.

Als die Designer bei Philips Ende der 90er Jahre beauftragt wurden, eine Neuentwicklung zu gestalten, stand die effiziente Nutzung des Geräts ganz oben auf dem Lastenheft, wohl auch weil man, auf Grund der komplizierten, technologischen Anforderungen des Systems, die Kosten nicht wirklich senken konnte. Also erwartete man ein Design, das vor allem die Nut­zung durch das behändelnde Personal verbessern würde.

Der Umweg zur Lösung

Doch die Gestal­ter mach­ten einen Umweg und versetz­ten sich zunächst in die Lage aller Betei­lig­ten: Sie ‚abstra­hier­ten’ das Problem. Das, was wir heute ‚Design Thin­king’ nen­nen, führte zum Entwurf eines bewusst gestal­te­ten Erlebnisses, das die Kin­der sowohl führt als auch Ablenkung betet: Mit­tels Pro­jek­tio­nen und Animationen wurden Erlebniswelten erzeugt, die den Rönt­gen­raum in eine aufregende, statt in eine angst­ein­flößende Welt verän­derten. Auch der Entwurf eines Kin­der­scanners, mit dem die Kin­der ihre Kuscheltiere ‚durchleuch­ten‘ konnten, führte dazu, dass im Vorfeld Ängste abgebaut und so die Behandlun­gen schnel­ler durchgeführt werden konnten. Dass dabei auch Ergono­mie und die Nut­zung wie gehabt opti­miert wurden, muss eigentlich nicht erwähnt werden.
Der von den Managern zuerst stark kritisierte, weil ver­meint­lich teure, ‚Umweg‘ der Designer führte dazu, dass sämtliche finanziellen Ziele des Projekts (Kos­ten­ef­fi­zi­enz), als auch die der späte­ren Nut­zung (mehr Pati­en­ten pro Tag) bei Weiten übertroffen wurden: Die kleinen Pati­en­ten waren weniger gestresst und die Abläufe daher wesentlich effek­ti­ver. Spätere Versuchen zeigten, dass dieser Entwurf nach Anpassen der Inhalte genauso bei Erwachsenen funktioniert.
Zudem stellte sich noch das Phänomen ein, dass die Eltern der Patienten ihre positiven Erfahrun­gen dank Internet weiter empfahlten. Wahrlich ein Win-Win für alle Beteiligten.

Kreaativ plus deduktiv

Um solche menschlichen, zentrierten Erlebnisse zu gestalten, braucht man einen ganzheitlichen Ansatz. Dabei ist kognitive Flexibilität wichtig, also die Fähigkeit, seinen Prozess dem Umstand anzupassen. Dieser Prozess folgt den Grundsätzen des Human Cognitive Designs, wobei es darum geht, nicht allein die krea­ti­ven Prozesse zu betrachten, sondern auch die deduk­ti­ven Management-Prozesse, um beide zielführend einzusetzen. Denn letztendlich stehen menschliche Bedürfnisse, das Bestreben einer Marke und die passendenden Angebote immer in Rela­tion zueinander. Hat diese Rela­tion für alle Betei­lig­ten eine Relevanz, dann kann nachhalti­ger Mehrwert entstehen.
Damit ein Unternehmen solche Erlebnisse gestalten und umsetzen kann, muss es bestimmte Voraussetzungen schaffen. Erlebnisse sind Resen mit vielen Stationen und umfassen daher viele Berührungspunkte. Und nur wenn das Erlebnis an allen Kontaktpunkten einheitlich erlebt wird, kann es sich als solches von anderen abgrenzen und Relevanz erzeuen. Damit dies entsteht, müssen Erlebnisse ‚orchestriert‘ werden: Alle Unternehmensbereiche müs­sen den stra­te­gi­schen Desi­gn­ansatz in ihren Aktivittäten umsetzen, denn wird die Desi­gn­kom­pe­tenz nicht kohä­rent und kom­pro­miss­los vom ganzen Konzern gelebt, so verpufft deren Wirkung weitestgehend.

Die Organisation aller Beteiligten

Dies bedeu­tet vor allem, dass man die vielen Betei­lig­ten, wie Desi­gner, Ent­wick­ler, Ver­trieb­ler, Wer­ber und Händ­ler, die alle zusam­men ein Mar­ken­er­lebnis erzeu­gen, inhalt­lich fokussieren muss. Sie brauchen eine Instanz, die die Richtung bestimmt – quasi einen Dirigenten – der sicher stellt, dass alle ‚den richtigen Ton treffen‘. Was das bedeu­tet, weiß ein jeder aus eigner Erfahrung: Man erkennt sofort, wenn ein Restau­rant funktioniert und das Potenzial hat, zum Lieblingslokal zu werden – dann ist alles stimmig. Und wenn nicht, dann holt man die Kochprozesse ins Haus. Denn die Relevanz ist Erfolgskritisch: Nur relevante Erlebnisse werden geschätzt und fallen in Form von Kundenloyalität auf das Unternehmen zurück. Die Weiterempfehlung unter Kunden ist zu einem der stärks­ten Wachstumsmotoren der Unternehmen gewor­den und rückt damit mehr und mehr in den Mittelpunkt bei strategischen Unternehmensfragen. Ein ganzheitlich gestaltetes Erlebnis ist somit der Wachstumstrei­ber in der Erlebnisgesellschaft.
Deswegen muss man mit Gestaltung beginnen und es nicht erst am Ende, quasi als Ausschmückung, hinzuführen.
Verwalten kann man nur das Vergangene – die Zukunft aber muss man gestalten!

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