fisch-vogel
Seit vielen Jahren sind es die gleichen Argumente: „Wir werden nicht ernst genommen, wir sind mehr als nur die Hübschmacher, wir werden unterbezahlt!“ Ganze Konferenzen füllen sich zu diesem Thema, in denen sich Designschaffende kollektiv einig sind, dass sie marginalisiert, übersehen, unterschätzt, nicht gehört oder falsch verstanden werden. Worauf man sich dann, ganz unter sich, einredet, dass es vor allem die Wirtschaft, der Kapitalismus oder auch die Manager sind, die hauptverantwortlich für die Misere der Designschaffenden und der Welt sind, in der wir leben. Denn diese Prämisse ist sonnenklar: Designer wollen nur das Gute und dabei vor allem die Welt retten, etwas, das die „dunkle Seite“ nicht anerkennt oder glatt ignoriert. Deswegen geht es auf Designkonferenzen seit langem schon nicht mehr um die gute Form, sondern um die Form des Guten! Und die ist eindeutig. Warum bloß wird so wenig vom Guten umgesetzt? Wird es nicht verstanden?
Es heißt, Kommunikation beginnt beim Empfänger. Wenn man eine Nachricht übermitteln möchte, dann sollte man darauf achten, dass diese empfangen werden kann. Man kann noch so „senden“, wenn auf der Empfängerseite nichts empfangen wird, ist es vergebene Mühe. Also muss man sich richten. Darauf zu hoffen, dass die Empfängerseite sich richtet, ist töricht und kleinkariert. Beharrt man auf seiner „Sendung“ und legt womöglich noch eine Schüppe drauf, dann ist das so wie bei jenen, die anfangen, lauter zu sprechen, wenn das Gegenüber sagt, dass es nichts versteht. Kommt nichts an, passiert auch nichts. Und solange die „Sender“ fest daran glauben, dass nur sie die Guten sind und sie sich nicht ändern müssen, wird sich auch weiterhin nichts ändern.
Verstehen Sie mich nicht falsch, es stimmt, dass Designschaffende nicht ernst genommen werden, mehr sind als nur Hübschmacher und unterbezahlt werden. Dass sich das so ergeben hat, ist aber nicht die Schuld einer „dunklen Seite“, die das so haben will, sondern vor allem das Ergebnis einer Haltung unter Designschaffenden, die sich immer mehr breitmacht. Der Grund dafür, dass Design wenig Einfluss hat, ist auch das Unvermögen der Designschaffenden, die anderen zu erreichen.
In den meisten Industrieländern werden Designschaffende als Fachkräfte für angewandte Gestaltung ausgebildet. Sie bringen sich professionell in die Wirtschaft ein, ihre Expertise ist die Gestaltung. Gestaltung wird gebraucht und ist in vielen Fällen die „wertvollste“ Tätigkeit in einem Unternehmen. Denn nur mit herausragender Gestaltung können Unternehmen etwas von derart emotionaler, relevanter und funktionaler Qualität erzeugen, welches die Kunden und Nutzer begeistert und dazu veranlasst, das Unternehmen zu fördern. Also sollten sich eigentlich alle um Gestalter reißen und ihnen zu Füßen liegen.
Trotz oder gerade wegen dieser Tatsache ziehen es viele Gestalter und Gestalterinnen vor, sich dieser Realität und Möglichkeit zu entziehen. Sie lehnen entschieden ab, als Fachkräfte für „Wertförderung“ und Absatzsteigerung eingesetzt zu werden. In ihrer Haltung liegt eine grundsätzliche Kapitalismuskritik, wonach Wirtschaftstreibende der Grund für die Missstände in der Welt sind. Hinzu kommen die Ablehnung von Managementprämissen sowie ein künstlerisches Verständnis von Arbeiten, wonach die Gestalter ihr «Werk» dem Auftraggeber anbieten wie Künstler der Galerie. Woher sonst die vielen Designpreise, wo Designergebnisse wie funkelnde Juwelen in Hochglanzkatalogen präsentiert werden?
Geschürt und gefördert wird diese Haltung an den Hochschulen, wo zukünftige Gestalter und Gestalterinnen ein Handwerk lernen, oft aber nicht die Art und Weise, wie man dieses in der Wirtschaft „wertfördernd“ einsetzt. Designmanagement wird kaum vermittelt. Warum auch, wenn das Management doch der Kern des Übels ist? Professoren, die selbst kaum Erfahrung in der Zusammenarbeit mit der Wirtschaft gesammelt haben, „senden“ ihre Weltansicht, nicht mit der Absicht, dass jemand das auch verstehen kann, sondern mit der Absicht, sie „mitzuteilen“. Für mich unvergessen der Moment, als ich mal einen Gestaltungsprof besuchte, als ich noch bei Philips angestellt war, und dieser mich als „Management-Fuzzi aus der Wirtschaft“ ansprach. Mein Anliegen war, einem jungen Teammitglied von mir dabei zu helfen, endlich das Diplom zu erlangen. Ich wollte zwischen dem verwirrten, aber talentierten Studenten und dem dogmatischen Prof vermitteln: Zwecklos. Also empfahl ich dem Studenten, das Diplom woanders zu machen.
Seit 30 Jahren sammele ich eine Anekdote nach der anderen. Man könnte lachen, wäre es nicht zum Heulen. Trotz der aufmunternden Zurufe von wenigen aus der Designszene, bloß weiterzumachen und sich für das Designmanagement einzusetzen, habe ich das Gefühl, es bewegt sich wenig. Und das leider auf beiden „Seiten“: Sowohl die Designschaffenden als auch die Wirtschaftstreibenden bewegen sich kaum aufeinander zu. Womöglich kommuniziere ich selbst so, dass die Empfänger es nicht verstehen? Das wird Teil des Problems sein: Ich erreiche weder die einen noch die anderen. Mein Anliegen, zwischen der Gestaltung und der Verwaltung, zwischen Design und Management eine Brücke zu schlagen, führt dazu, dass ich weder zur einen noch zur anderen Seite gehöre und deswegen wohl nicht „gehört“ werde. Ich bin gefangen zwischen Wall und Schiff, wie man in meiner Heimat sagt. Ein Freund hatte eine Bezeichnung dafür gefunden: „Du bist ein Fisch-Vogel“, sagte er zu mir, als ich zu erklären versuchte, was ich mache. Und das ist dieser Tage eine denkbar schlechte Eigenschaft, denn entweder bist du gut oder böse, links oder rechts, aber wehe, du bist sowohl als auch! Soll ich es also lieber lassen, oder muss ich wieder zum Fisch oder Vogel werden? Oder braucht es einfach seine Zeit, bis sich eine neue Gattung manifestiert, bis Fisch-Vögel zur Normalität gehören? Bis dahin mache ich mal weiter, bin ja nicht allein, es gibt noch andere Fisch-Vögel! Oder?!
Lieber Jan-Erik, herzlichen Dank für Deine Analyse. Vielleicht gibt es ja auch Fischvögel? Oder Bezeichnungsfinder, die es Dritten unmöglich macht Design zu verstehen oder zu zuordnen. Von meiner Genese gehöre ich der Besuchsgruppe der Sozialarbeiter an. Die teilen oft das gleiche Schicksal: unverstanden, unterbezahlt und oft erst dann geholt, wenn das Chaos vollendet ist. Zudem verfügen auch die über einen Wort-Werkzeugkasten , der von der Zielgruppe (gewollt?) nicht verstanden wird. Zeit für ein Format „Design trifft Sozialpädagogik“. Was meinst Du? Herzliche Grüße. Thomas
Hallo Jan-Erik, Ich erkenne mich in deinen Zeilen fast schmerzhaft wieder 😉
Ich arbeite daran, dieses Dilemma nicht nur zu benennen, sondern in der realen Wirtschaft Lösungen zu entwickeln.
Ich sehe Design nicht als bloßen Selbstzweck oder gestalterisches Selbstgespräch, sondern als eine kraftvolle Disziplin mit wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und kultureller Relevanz. Und ja – das bedeutet auch, sich mit ökonomischen Realitäten auseinanderzusetzen, Verantwortung zu übernehmen und mitzugestalten.
Ich verstehe die Kritik an der Oberflächlichkeit wirtschaftlicher Interessen – aber genauso erkenne ich das riesige Potenzial, wenn Design und Management sich wirklich begegnen und nicht nur übereinander sprechen. Genau dafür trete ich an.
Viele Grüße und zur nächsten DM-Konferenz.