helden

Peter Müller wollte nicht, doch er musste. Nach über 30 Jahren Dienst in der Feuerwache in Hintertupf wurde er, auf Anordnung der Bezirksleitung, vorzeitig in den Ruhestand geschickt. Es gab handfeste Gründe für diese Entscheidung: Die Kosten der kleinen Feuerwache waren ansehnlich und der Nutzen der Wache war fragwürdig – in über 25 Jahren war es nicht mehr zu einem größeren Einsatz gekommen, einen Brand hatte es ebenso nicht mehr gegeben.
Vier Monate nach Müllers Pensionierung vernichtete ein Feuer die Heide rundum Hintertupf und nahm gleich die zwei größten Höfe mit in seiner Feuersbrunst.

Entsprechend groß war die Entrüstung in Hintertupf, denn die Rettung musste aus Vorderstadt anrücken und war zu spät vor Ort: Das Übel war schon geschehen. Peter Müller wurde später im Hintertupfmagazin befragt, ob er nicht auch meinte, dass, wenn die Wache noch da gewesen wäre, das Feuer schneller gelöscht worden wäre. Seine Antwort: Nicht das Löschen sei die Lösung, sondern deren Vermeidung. Man hat ihn immer wieder darauf angesprochen, dass seine Wache keinen Mehrwert hätte, weil nie was passierte. Eine Zusammenlegung mit der großen Wache wäre besser. Man hat sogar behauptet, er hätte die ganze Zeit nur gefaulenzt. Dass er jedoch jeden zweiten Tag einen großen Rundgang über die Heide machte und nachschaute, ob potenzielle Gefährdung bestünde (Säcke mit Glas hätte er zum Beispiel so gesammelt!), davon hat niemand je Anteil genommen. „Belohnt wurden immer nur die, die Feuer löschen!“, so seine letzten Worte.

„There is no glory in prevention“, sagte letztens noch ein Experte im Gesundheitswesen, der es wissen muss, handelt er doch genau nach dieser Prämisse. Die Welt schaut nur auf seine Helden. Es sind die Geschichten von Menschen, die Heldentaten vollbringen, die wir erzählen. Das Löschen ist glorreicher als das Sammeln von Glassplittern. Wer Feuerwehrmensch werden möchte, will auf dem Feuerwehrwagen mit Blaulicht herumfahren und Menschen aus der Not befreien, nicht herumlaufen und nach dem Rechten schauen. Wer als Arzt oder Ärztin dienen will, möchte Leben retten und Krankheiten heilen, nicht herumlaufen und Menschen gesundes Leben beibringen – zumindest, wenn man ein Held oder eine Heldin mit Prominenz sein möchte… Denn die Verlockung ist groß!

Helden werden besser bezahlt als die Statisten. Heilen ist lukrativer als Vorbeugen. Gewinne für das Unternehmen sind üblicher als Preisnachlässe für die Kunden, daher erhalten die Wirtschaftsbosse heldenhaft-hohe Boni, nicht die Kunden. Wer als reiner Vorsorgemensch sein Leben fristet, als Lehrerin, Zugbegleiter, Pflegekraft, Busfahrerin oder Putzkraft, der wird nur mit dem Allernötigsten versorgt. Als Helden treten diese Personen nur in Erscheinung, wenn etwas falsch läuft. Dann, wenn ihre Arbeit aufgrund einer Krise oder eines Missgeschicks quasi überlebenswichtig wird. 

Da wir so gefesselt sind von Heldentaten, tun die Medien ihr Nötigstes, genau dieser Eigenschaft zu bedienen. In immer kürzeren Zirkeln werden die immer mehr zunehmenden Nachrichtenkanälen gefüllt mit Heldentum, im Kleinen wie im Großen. Wirklich gute News ist nur das, was offensichtlich heldenhaft ist, wo Leid und Glück einander bedingen. Die Kriegsberichterstattung im Kampf gegen eine Bedrohung ist entsprechend glorreicher als die nüchterne Meldung über die Vermeidung einer Bedrohung. Ohne Leid kein Glück.

Also erzählt jeder Mensch von seinen Heldentaten oder teilt die von anderen auf den sozialen Medien: Alpenüberquerung, Tierrettung, Unfallhilfe oder Kochkünste – kein Thema wird ausgelassen, um der Welt zu zeigen, wie viele Helden sie doch hat. Und die Medienhäuser tun ihres, dies zu bedienen, denn einfach berichtet wird schon lange nicht mehr: es wird kommentiert. Dass die Berichte eines Pflegers erst dann gehört werden, wenn das Leid offensichtlich ist, spricht Bände. Dass dieser Pfleger aber auch darüber berichtet, dass seine Arbeitsrealität schon immer so notleidend war, aber dass früher keiner zugehört hat, wird übergangen. Es hatte niemand zugehört, weil niemand kommentiert hatte.

Was ist uns die Prävention wert? Was ist es uns wert, wenn alles glatt läuft? Viele von uns zahlen gerne jeden Monat hunderte von Euro für den Fall, dass nichts passiert. Das nennt sich Versicherung. Nur wenige kommen auf die Idee, das Eingezahlte wieder einzufordern, wenn nichts passiert ist. Aber dann, wenn wirklich etwas passiert, erwarten wir natürlich, dass die Prävention sich auszahlt, dass die Vorsorge sich gelohnt hat. Dann verlassen wir uns auf die wirklichen Helden, die nur darauf gewartet haben, dann in Aktion zu treten, wenn das, was zu vermeiden war, passiert. Dann werden Feuer gelöscht, Verletzte behandelt, Kranken gepflegt, Verschüttete geborgen oder einfach nur so mal nach der Katze geschaut. Selbstverständlich wie selbstverständlich, gar nicht heldenhaft.

Es sei jedoch, jemand hat diese Vorsorgekosten wegrationalisiert. Dann geschieht es uns wie in Hintertupf: Wir stehen mit leeren Händen da, wenn es mal richtig brennt. 
Vermutlich konnte der Rationalisierer Glorios berichten, dass viele Millionen eingespart wurden und dass diese nun wirklich heldenhaften Zwecken zugeführt werden konnten. Und vermutlich wurde diese Person durch eine Beförderung, einen fetten Bonus und Aufmerksamkeit in den Medien belohnt. Denn, wir feiern unsere Helden!

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