verflixtes problem
Europa steht am Abgrund, der Euro hat ausgedient: Eine Schreckensbotschaft nach der anderen prasselt auf uns nieder. Was ist los mit Europa? Dieser Versuch, die auch noch so unterschiedlichen Länder dieses Kontinents (zumindest einen großen Teil davon) zusammenzuführen – ist er gescheitert? Sind die Unterschiede letztendlich doch zu groß, passen wir doch nicht zusammen?
Für mich als ‚Heimatloser‘ sind das alles schlimme Nachrichten, denn es lässt sich ja jetzt so gut leben, hier in Europa. Vor allem seitdem der Euro rollt. Da muss man nicht immer die Tütchen mit den verschiedenen Währungen mit sich ‚rumtragen‘ und das blöde Umrechnen in die jeweilige Münze entfällt (Na ja, bis auf die Schweiz halt). Auch das Warten an den Grenzübergängen und die Untersuchungen auf dem Bahnsteig in Venlo sind passé, kein nervöses Anstehen vor den Grenzbeamten, die finster drein blickend deinen Pass begutachten oder gegebenenfalls deinen Koffer durchpflügen.
Wer nur einmal im Jahr in den Urlaub fuhr, für den war dies Teil eines Erlebnisses, und sogar ein Besuch ins benachbarte Belgien mutete an wie eine Reise in ein fernes Land. Ich kann mich sogar noch an jubelnde Touristen erinnern, die laut hupend die Grenze passierten, als sie nach Spanien fuhren – wir sind drin! Für jene aber, die täglich oder wöchentlich über die Grenze mussten, so wie ich, war dies alles reine Schikane und eine Tortur – ich war froh, als es den Euro gab und hoffentlich gibt es ihn noch eine Weile!
Was aber nach über 10 Jahren der Währungsunion und offener Grenzen bleibt, sind die Grenzen selbst. Sie sind nicht nur landschaftlich klar zu erkennen, sondern vor allem in den Köpfen der Menschen noch messerscharf gezogen – da gibt’s keine Einheitswährung! Die kulturellen Unterschiede sind härter als jede denkbare Währung und lassen sich entsprechend auch nicht durch etwas Einheitliches ersetzen: Und das ist toll! Denn diese kulturelle Vielfalt ist ja auch viel mehr wert, als ein gleichgemachtes Mittelmaß, wie der Euro. Was beim Bezahlen und Geschäftemachen praktisch und förderlich ist, führt bei den Kulturen zu deren kompletter Auflösung. Daher gilt es, die unterschiedlichen Kulturen in Europa zu schützen und zu fördern, damit wir sie als härteste aller Währungen im globalen Wettbewerb gewinnbringend einsetzen können!
Warum, werden Sie fragen? Nun, das Ganze könnte ja so ablaufen wie in diesem Sketch, wo ein Restaurant von einer Truppe unterschiedlicher Kulturen geführt wird: Briten machen die Werbung, Schweizer schauen nach dem Rechten, Deutsche nach den Finanzen, die Italiener kochen mit den Franzosen, die Holländer schmeissen hinterher die Party, die Polen machen den Service, die Ungarn die Musik – und so weiter und so fort. Ein so geführtes Restaurant liefert sicherlich das beste Erlebnis in allen Punkten!
Aber momentan scheint es beim Sketch zu bleiben; Die jeweiligen Stärken der Kulturen scheinen hauptsächlich innerhalb der eigenen Grenzen zu wirken. Auf der europäischen Bühne spielen wir diese Stärken noch nicht aus. Eine Alternative ist das, was wir in den USA vorfinden, wo viele Kulturen sich zusammentun und eine Klammerkultur geschaffen haben; die des ‚american way of life‘. Zunehmend besinnen sich die USA auf ihre kulturelle Vielfalt und die Vorteile, die daraus entstehen können, wenn man sie auch zu nutzen weiß. Nicht jeder Ami ist da dabei und somit beschränkt sich das amerikanische multikulturelle Leben auf einen 50 km breiten Gürtel an der jeweiligen Küste in Ost und West: Dafür ist dieser ‚melting-pot‘ aber die Innovations-Maschine der USA, die den Rest über Wasser hält und weltweit nach wie vor führend ist.
Daher frage ich mich immer, warum man diese Option nicht auch in Europa stärker nutzt? Was spräche dagegen, wenn wir offener mit den Stärken und Schwächen der Kulturen umgehen und diese bewusster zum Besseren einsetzen würden? Wie wäre es mit einem ‚european way of life‘? Es tut doch nicht weh, wenn man sagt, dass in Deutschland die Dienstleitungen besser laufen könnten: Es liegt eben im Naturell der Alemannen, sich nicht um den werten Kunden zu kümmern, der muss einfach funktionieren. Warum nicht ein paar Engländer hinzunehmen und das Service Design verbessern? Dafür helfen die Deutschen dann beim Bauen von Häusern dort. Wer einmal ein Loch in eine englische Hauswand gebohrt hat, weiß, wovon ich spreche.
Vielleicht wäre es spannend, ein Designprojekt zu starten, das den großen Problemen, die uns beschäftigen – jenen verflixten Problemen, wie z.B. eine stabile Ökonomie, eine nachhaltige Energieversorgung oder eine schadstofffreie Umwelt – mit einem bewusst multi-kulturellen Europäischen Team auf die Pelle rückt!
Es war der deutsche Designer und Forscher Horst Rittel, der die ‚Wicked Problems‘ einst beschrieb und dabei Folgendes feststellte: Diese Probleme erweisen sich als äußerst resistent gegen Lösungsversuche, oft werden sie erst erkannt, wenn man sie löst. Die Lösungen ‚verflixter‘ Probleme sind weder falsch noch richtig, sondern nur schlecht oder gut.
Das klingt nach einer waschechten europaweiten Designaufgabe!
Oder ist Europa vielleicht ein verflixtes Problem?