urlaub
Jedes Jahr ist es das gleiche Ritual: eine Kolonne vollgepackter Autos macht sich auf den Weg in bessere Gefilde. An Bord bleiche Gesichter mit Flip-flops und in ärmellosen Hemden, auf dem Dach die Utensilien für körperliche Ertüchtigung und, wenn’s optimal läuft, hinten dran das ganze Heim in Zweit-Ausgabe – man will ja in der Fremde auf nichts verzichten müssen, vor allem nicht auf das Gefühl von „Zuhause“!
Ich gebe es gerne zu: Auch ich stehe in dieser Kolonne und mache mich auf den Weg. In einem ärmellosen Hemd wird man mich nicht erwischen, aber an der Raststätte wirkt, rein optisch neben den anderen, auch mein Wagen eindeutig wie der eines gemeinen Urlaubers. Denn neben der Tatsache, dass das Auto zwecks Urlaubsgestaltung bis unters Dach mit Koffer, Curver-Kisten und anderem Kram, den man sonst nie mitnehmen würde, vollgeladen ist, ist noch eine weitere gemeinsame Tatsache ein verbindendes Element aller Urlauber – alle fahren zur gleichen Zeit!
Obwohl man von öffentlicher Seite alles versucht, den Herdentrieb zu entwirren, so entsteht doch jeder Sommer wieder kilometerlanger Stau an den noralgischen Verkehrsknotenpunkten und den, natürlich bewusst platzierten, Baustellen der Autobahnen. Die wenigsten Urlauber nutzen die reichlich verfügbaren Nebenstrecken, denn man will ja schnellstmöglich an den Urlaubsort! Ist man dort, dann verbringt man jene Zeit, die „ein arbeitsfähiger Arbeitnehmer, Beamter, Soldat oder auch Selbstständiger von seinem Arbeitsplatz berechtigt fernbleibt, obwohl nach Tages- und Wochenzeit eigentlich Arbeitsleistungen zu erbringen wären“ (Quelle Wikipedia): nämlich seinen Urlaub!
Ich verbringe meinen zweiwöchigen Urlaub seit 16 Jahren an der gleichen Stelle auf einem Bauernhof in Kärnten, Österreich: Auf dem Arbeitsplatz einer Bauernfamilie. Während ich scheinbar meinem Arbeitsplatz so weit wie möglich zu entrücken versuche, rücke ich, näher betrachtet, dem Arbeitsplatz von anderen gehörig auf die Pelle! Ich schlafe in Betten, die das Personal der Familie hergerichtet hat, esse das Bioessen, das die Familie gemolken, geerntet oder gejagt hat, wandere über Almwege, die Bergbauern aus dem Fels geschlagen und frisch hergerichtet haben, und genieße die Gastfreundschaft der vielen Lokale und den mir entgegengebrachten Service.
Was mich in dieser Zeit auf dem Bauernhof immer wieder beeindruckt, fernab meines eigenen Arbeitsplatzes, ist die Art und Weise, wie man dort mit der Arbeit umgeht und wie anders sich dort das Arbeitsleben gestaltet: Die Grenzen zwischen Arbeitszeit und verbleibender Zeit sind fliessend, fast schon wie aufgehoben. Je nach Wetterlage, Jahreszeit oder Lustkurve sind Arbeiten, die anfallen, zu erledigen, und entsprechend können diese mal entspannt oder unter Stress erbracht werden. Als konstanter Faktor ist deutlich zu erkennen, dass die Bauernfamilie ihr Leben aktiv gestaltet, egal ob ‚kann‘ oder ‚muss‘, und dass sie sich daher als Unternehmer in eigner Sache fühlen: entsprechend frisch, gesund und lebensfroh wirken sie.
Abends, beim gemeinsamen Umtrunk, sitzen die Urlaubsgäste aus NRW oder Hamburg beisammen und tauschen sich angeregt über die Erlebnisse während der Bergwanderung oder über die Schönheit der Almlandschaft aus. Sie alle haben von ihrem Arbeitgeber frei bekommen (die Schüler idem) und jetzt, am vorletzten Abend, macht sich eine leicht niedergeschlagene Stimmung breit. Angeregt werden die Optionen für die Rückfahrt diskutiert (ob besser nachts wegfahren, oder doch früh morgens, ob A8, oder doch A3), manch einer stöhnt merklich bei dem Gedanken, dass es jetzt wieder „zurück“ geht. Viele Gäste wünschen sich noch eine Woche in diesem Paradies und vertrösten sich auf das kommende Jahr. Noch nie sagte jemand, er freue sich, endlich wieder an die Arbeitsstelle zurückkehren zu dürfen, an der er zwecks Urlaub berechtigt fernbleiben durfte!
Seit vielen Jahren mache ich mir darüber keinen Kopf mehr, denn ich versuche mir an der Bauernfamilie ein Beispiel zu nehmen: Arbeitszeit ist Lebenszeit! Daher ist für mich der „Urlaub“ eine Arbeit, genauso wie z. B. die Semesterplanung.
Zugegeben, die Sache mit dem Arbeitsplatz und dem Lustfaktor müsste man noch verbessern, denn diese Plackerei mit dem vollgepackten Auto, den Staus und den vielen Holländern auf der Bahn ist ein echter Stress! Lebenszeit will halt auch gut gestaltet sein…!
Wohl wahr, nachhaltig ist die Kurverei nun auch gerade nicht: ich überlege, ob ich nicht in die Alpen ziehen sollte, z.B. an den Vierwaldstättersee 😉 „Da Arbeiten, wo andere Urlaub machen“!!!
…. oder man backt selbst (statt Café), kocht selbst (statt Sterne-Restaurant), geht am Niederrhein wandern (statt in den Alpen), badet im Baggersee (statt im Bergsee), fährt nur mit einem Reise-Necessaire auf wunderschönen Alleen bspw. von Dortmund(!) nach Höxter (statt vollgepackt im Stau auf der Autobahn). Aber wer macht das schon. Warum in die Nähe schweifen, wenn das Ferne liegt so nah – frei nach Goethe.