kontrolle ist gut, vertrauen ist besser.
Ein Nachruf auf Prof. Götz W. Werner.
Ich bin nicht schnell beeindruckt: Es muss viel passieren, und eben das Richtige, damit ich einer Sache mein höchstes Lob ausspreche. Vor allem Menschen gegenüber habe ich große Zurückhaltung, ihnen Anerkennung oder Begeisterung entgegenzubringen.
Ob das eine typische Eigenschaft meiner niederländischen Herkunft ist, es kann sein: In den Niederlanden tendiert man dazu, eher nüchtern mit Menschen und ihren Errungenschaften um zu gehen. Und in dieser hypervernetzten Welt mit ihrer Bühne aus sozialen Medien drängen sich viele auf, andere zu beeindrucken. Es gibt sozusagen genug Angebot an beeindruckenden Personen und deren Leistungen. Aus meiner Sicht wird dadurch die Latte allerdings nur noch höher gelegt und macht deutlich: Masse ist nicht gleich Klasse, im Gegenteil.
Es gibt Momente, wo man gleich merkt, dass ein besonderer Mensch vor einem steht. Mir ist das passiert bei einem Vortrag von Götz Werner, vor etwa 15 Jahren. Damals kannte ich ihn kaum, er war mir kein Begriff. Als Gründer einer Drogeriekette war er auch nicht „im Fokus“. Er hielt, ganz unspektakulär, einen Vortrag in der Aula der Schule meines Sohnes. Angereist per Bahn und Taxi, mit einem Rollkoffer in Schlepptau. Das Publikum, die Eltern der Schüler und wenige andere Interessierte aus dem Umfeld. Was folgte, war ein Vortrag und eine anschließende Fragerunde mit dem Publikum, die mich tief beeindruckt haben. Götz Werner legte seine Sicht auf das, was ein gesundes Wirtschaften (und ebensolche Gesellschaft) ausmacht, dar und zeigte gleich auf, wie Menschen empfänglich doch sind für ein Denken und Handeln in Schubladen und Schablonen. Das anschließende kurze persönliche Gespräch mit ihm war warm und aufrichtig, auf Augenhöhe. Nichts Lehrerhaftes, nichts von Überlegenheit, keine Starallüren, sondern eine tiefe, feste und aufrichtige Überzeugung, dass Menschen im Grunde gut sind und dass sie, wenn man sie lässt, das Beste im Sinn haben. Er wirkte authentisch und gewinnend. hätte er mir einen Job angeboten, ich wäre ihm sofort gefolgt.
Stattdessen habe ich mich seinen Thesen und Arbeiten zugewandt und versuche seitdem, diese in Unternehmen zu etablieren. Sogar dem CEO von Philips habe ich damals ein signiertes Buch von Werner geschickt, mit dem Hinweis, wir sollten uns doch ein Beispiel annehmen. Den Dankesbrief des CEO trug ich lange mit mir herum, gab dieser mir doch „freies Geleit“, mich für eine Veränderung der Unternehmenskultur einzusetzen: offener, menschlicher und kreativer sollte sie werden. Denn der CEO gab zu, die Thesen des Götz Werner wären „spot-on“, jedoch besäße er selbst nicht dessen Persönlichkeit und Möglichkeiten. Auch mir fehlt die Unerschütterlichkeit eines Götz Werners, aber ich gebe mein Bestes: Wo ich kann, versuche ich die „dialogische Führung“ zu etablieren und vor allem nach der Maxime zu leben, dass die Menschen besser sind, als man gemeinhin glaubt. Eine Sicht, die gerade in diesen Zeiten schwer aufrechtzuhalten ist.
Daher nehme ich das Vermächtnis aus der Erinnerung an Götz Werner mit mir in die kommende Zeit, wo wir herausgefordert werden, zu realisieren, dass wir besser sind, als wir glauben.
Nach dem Vortrag fragte eine ältere Dame, ob Herr Werner ein Beispiel dafür hätte, was er mit „Vertrauensvorschuss“ meinte. Werner fragte sie, wie sie denn in die Aula gekommen wäre. Mit dem Aufzug? Und ob sie denn kontrolliert hätte, ob alle Seile noch gut sind, ob die Wartungen fristgerecht eingehalten wurden? Natürlich nicht! Denn das hätte noch länger gedauert, als zu Fuß die zwei Stockwerke zu erklimmen. Außerdem könne man doch der Firma trauen. Zu vertrauen, dass Menschen das Beste wollen, sei der Motor für Innovation, so Werner. Das leuchtete auch der alten Dame ein.
Dass ein Vertrauen der Beginn einer Wertschöpfung ist und nicht dessen Endpunkt, ist eine Lektion, die man von Götz Werner mitnehmen muss. Aber auch, dass man sich das Vertrauen immer wieder im Dialog erarbeiten muss. Blind darauf zu vertrauen, dass alles glatt läuft, ist töricht und das Gegenteil von Führung. Werners Geschäfte hätten es nicht zu dem gebracht, was sie geworden sind, hätte er nicht ständig, im Dialog, die feine Balance zwischen Vertrauen und Führung austariert. Eine Eigenschaft, die ich woanders kaum vorfinde und die uns allen, gerade jetzt, sehr fehlt.
Und jetzt, wo Götz Werner verstorben ist, umso mehr.