eine lektion
Gut, dass es Designer gibt, die die Dinge aus einer anderen Sichtweise betrachten und somit zu neuen, relevanten Einsichten kommen, oder? Es ist nicht so, dass nur Designer dies können – es kommt auf ein ‚designhaftes‘ Denken an, das mit Neugierde und Empathie Bestehendes zum Besseren verändern will – dies können also im Prinzip fast alle. Allerdings müssen sie dafür ein kreatives Denken mitbringen, dass das Bessere gestalten und formen kann, als auch eine Form der Empathie, sich vorstellen zu können, wie sich dieses ‚Bessere‘ für andere auswirkt und somit tatsächlich als ‚besser‘ empfunden wird. Da wird die Luft dann etwas dünner.
Letztens beschrieb ich die Umstände in der Medizintechnik, wo dieses Vermögen viel bewirkt: Mit einer Verlagerung der Sichtweise und mit viel Empathie kann man das Bestehende hinterfragen und zum Besseren verändern. Wie der zuletzt beschriebene Fall des neu gestalteten medizinischen Systems, wo sowohl für den Patienten, der damit wesentlich entspannter die Eingriffe durchstehen kann, als auch für die Betreiber der Krankenhäuser, die damit wesentlich effizienter ihre kostbaren Investitionen nutzen können, sowie für die Hersteller der Geräte, die damit, aufgrund der erhöhten Nachfrage, in den Genuss besserer Umsätze und Anerkennung geraten, alles besser wird. Klingt fast wie im Märchen!
Wie diffizil der Grad zwischen ‚wirklich‘ besser und ’scheinbar‘ besser ist, sollte ich als Designer bald darauf an anderer Stelle erfahren: Nach der erfüllenden Arbeit in der Medizintechnik zog es mich in die Welt des Konsums- dorthin, wo Produkte von normalen Menschen erworben und genutzt werden, wo man als Gestalter das Endprodukt seiner Arbeit in den Läden anfassen und sogar selber erwerben kann!
So reizvoll es war, sich für ein wichtiges Thema wie die Medizin einzusetzen und dafür mit Designpreisen überhäuft zu werden, so war es dabei nicht möglich, seine Arbeit wirklich anzufassen, zu erleben und zu besitzen. (Der Medizintechnik bleibt man besser fern!) Also ergriff ich die Gelegenheit und heuerte beim Team der Konsumentenelektronik an, genauer gesagte bei den Videorekordern. Davon wurden im Jahr ein paar Millionen hergestellt, ein ganz anderer Tobak als die 50 Röntgengeräte zuvor.
Mit frischem Mut widmete ich mich der Herausforderung und genau wie auch schon vorher schaute ich mir alles an und nahm mir vor, es besser zu machen. Die Produktmanager gaben vor, dass wir auf Platz drei lagen und dass der Abstand zum Marktführer doch mehr als 8 Prozentpunkte betrug – das, so sagten alle, sollte besser werden. Auch die Marge, die mit der jetzigen Produkt-Range erzeugt wurde, genügte nicht – auch die musste besser werden.
Dass ein angepasstes und verbessertes Design dies bewirken kann, das wusste ich genau – hatte die Arbeit in der Medizintechnik doch auch dazu geführt. Also akzeptierte ich die Vorgabe und legte los. Ich brauchte nicht lange, um herauszufinden, dass der Marktführer sich besser präsentierte als unsereins: Seine Geräte im lukrativen HiFi-Segment waren um glatte 55mm breiter als die unsrigen, die leider dasselbe Außenmaß wie alle Geräte im Mono-Segment hatten. Dazu kam, dass er seine Geräte auf Füßchen stellte, ganz so wie die teueren Audio-Geräte. Er erweckte somit den Eindruck, dass seine Geräte nicht nur optisch, sondern dementsprechend auch sonst qualitativ besser sind. Die Konsumenten sahen dies auch so, wie sich aus einer Umfrage ergab.
Also versetzte ich mich in die Lage der Konsumenten und stellte mir vor, wie ich entscheiden würde, wenn ich ein qualitatives Produkt haben wollte: Es sollte sich wie eins anfühlen und wie eins aussehen. Gedacht, getan: Es wurden 55mm Luft verbaut und Füßchen montiert, zudem wurde das Design verfeinert und dem Look der Audio-Geräte angeglichen. (Die 55mm Luft mussten sein, da sich die optimierte Produktion schon ganz auf ein Standardmaß festgelegt und sich entsprechend an der kleineren Mono-Größe orientiert hatte- größer machen ging da nicht mehr.)
Nicht mal ein Jahr nach der Markteinführung waren wir die Marktführer und hatten Margen wie nie zuvor – unser Umsatz im HiFi-Segment hatte sich verdoppelt. Die Konsumenten liebten das Gerät, der Handel war begeistert, die Testergebnisse sprachen eine deutliche Sprache: Best of class!
Sollte sich auch hier beweisen, was zu beweisen war? Nicht wirklich, denn letztendlich war es ein Pyrrhussieg, eine Blendung (oder auch nur 55mm mehr Luft?): Schon kurze Zeit nach der Einführung des neuen Designs wurde der Preisdruck stärker und die aufkommenden DVD-Spieler brachten das jähe Ende für die Videorekorder. Nachdem die erwarteten Margen nicht mehr kamen, wurde alles eingestampft, die Fabriken geschlossen und die Mitarbeiter entlassen. All dies, um wesentlich billiger in Asien ein zu kaufen – und auch ich war meinen Job wieder los.
Ab da war für mich klar: Gutes Design ist nicht nur das, was designhaftes Denken entwickeln kann, sondern vor allem das, was am Ende bestand hat und das Bestehende nachhaltig zum Besseren verändert.
Hallo Jan-Erik,
Christian Winkler, den ich vor Kurzem in Wien getroffen habe, hat mir
ja schon ähnliches erzählt Bei den Fernsehern ist es ja das Gleiche –
nachdem die Rahmen und die Geräte insgesamt in der Tiefe immer
kleiner werden, ist bald nichts mehr da, das irgendwie gestaltet werden
kann, außer der Software. Schöne virtuelle Welt Vielleicht sollte man
sich auf Software Designer umschulen lassen, da alles Materielle
immer mehr am (ver) schwinden ist
Ich habe in all meinen Webpräsenzen zwar folgenden Leitsatz mit
Betonung auf ‚wesentlich‘ vorangsteilt- „Design definiert sich für mich
als kreativer Prozess, während dem in enger Zusammenarbeit mit
Unternehmen eine Lösung entsteht, die in funktionaler, ästhetischer,
ökonomischer, ergonomischer und sozio-kultureller Hinsicht einen
wesentlichen Beitrag für das Unternehmen und unsere Gesellschaft
leistet“ – höhere Ziele – realistischerweise ist das allerdings nur unter
Selbstgeiselung durchsetzbar ….
Ein Meister der Selbstgeiselung war Steve Jobs – darum war er
wahrscheinlich auch so erfolgreich! Nur- zu welchem Preis?!
lg