eine frage der unternehmenskultur
Für einen Designer ist es nicht leicht, wenn er erklären soll, was denn Design nun wirklich ist. Man läuft dabei Gefahr, sich abzugrenzen und ins Lager semi-wissenschaftlicher Theoretiker, Künstler oder grimmiger Weltverbesserer zu geraten. Dabei ist Design längst Allgemeingut und steht für alles Fortschrittliche, nur nicht für seriös, langweilig oder preiswert.
Viele, die sich mit etwas ‚Designtem‘ schmücken, hoffen, dass etwas vom Nimbus des Designs auf sie abfärbt – dies gilt sowohl für Träger von ‚Designer-Couture‘ als auch für Firmen und Institutionen mit Imageproblemen. Design scheint die Wundersalbe für absatzgeplagte Geschäftstreibende und für verblasste Identitäten zu sein, die man nur oberflächlich auftragen muss und schon stellt sich eine Besserung ein.
Viele unterschätzen meistens dabei, dass die Wunde, die man zu heilen versucht – z. B. Image- und Absatzprobleme – nicht von oberflächlichen Verletzungen stammt. Die Ursachen liegen oft tiefer, und dann muss auch die Heilung eine ‚Tiefenwirkung’ haben.
Um diese Tiefenwirkung zu erreichen, muss man Design als seriöse, fundierte und auch professionelle Aufgabe positionieren. Es muss als Teil einer Unternehmenskultur gesehen werden, will es nachhaltigen Effekt haben.
Die Vergangenheit hat gezeigt, dass nicht Produkte, sondern Grundsätze, Handlungsweisen, Werte und Normen die Authentizität eines Unternehmens ausmachen, etwas, was wir oft bei globalen Marktführern erkennen. Und die Identität, als Teil der Unternehmenskultur des Unternehmens, lässt sich nicht käuflich dazu ‚designen‘ – da können Designer noch so gute Handwerker sein.
In einer Welt, in der Konsumenten kaum mehr nachvollziehen können, welche Produkte von welchem Hersteller kommen, werden aufgesetzte Corporate Design Programme genutzt, um dem Kunden einen Halt zu geben. Designte Markenauftritte, wie z. B. von DUAL, als man vor einigen Jahren eine alte, namhafte Marke wieder aufleben ließ, sind ein Beispiel dafür, dass Identität ohne gelebte, angreifbare Kultur nicht notwendigerweise zum nachhaltigen Erfolg oder gar nur zur Erkennung führt. Die Kunden finden sich in der re-projizierten Identität oft nicht zurecht. Dies merkt man auch dann, wenn im Zuge von Firmenübernahmen die Kulturen nicht zueinander passen oder sich nicht ergänzen – Gleiches trifft dann meistens auf das Design der jeweiligen Produktangebote zu.
Als man zum Beispiel bei Philips einen großen Teil von Agilent (ehemals HP-medical) übernahm, gab es massive kulturelle Konflikte. Es galt, die neuen Mitarbeiter so schnell wie möglich in ein für sie neues Unternehmen mit einer anderen Kultur zu integrieren.
Auch die ‚andersartigen’ Produkte mussten re-designt werden, um im gleichen Maße in die ‚Philips-Kultur’ integriert zu werden. Die anfängliche Kritik hierüber verschwand zusehends und kehrte sich in eine Zustimmung um, als man die kollektive Aussagekraft der harmonisierten Produktpalette sehen konnte.
Design hat hier maßgeblich dazu beigetragen, den Neueinsteigern in die Philips-Kultur etwas Greifbares zu geben, mit dem sie sich identifizieren können. Viele können nur das glauben, was sie auch sehen und fühlen konnten.
Ist das harmonisierte Design aber ein optisches Konstrukt, das nur appliziert wurde, ohne dass es auf die Mitarbeiter und die Unternehmenskultur wirken kann, bleiben auch die Werte bloß Lippenbekenntnisse der Geschäftsführung.
Aber auch da, wo sich eine intakte Unternehmenskultur verstärken will und eine verblasste Identität neu aufbauen möchte, kann Design ein Motor in der Identitätsbildung sein. Dies ist ganz unabhängig davon, wie groß das Unternehmen ist.
Allerdings lassen sich Management-Schwachpunkte und Marketingprobleme nicht mit einem Designmantel vertuschen. Nur wenn Design integriert im Unternehmen platziert ist, kann es auch über die Produkte und über die Kommunikation hinweg erfolgreich wirken, sowohl nach außen als auch nach innen. Denn wenn Mitarbeiter und Geschäftspartner merken, dass die Kernkomponente einer starken Marke ein starkes Design ist, wird auch das Unternehmen selbst gestärkt. Das Corporate Design, wenn richtig gemacht, wirkt auch nach innen und stärkt jedes noch so kleine Unternehmen und gleichsam seine Wettbewerbsfähigkeit.
Um also Design in seiner vollen Tragkraft für sich nutzen zu können, muss es einen festen Platz in der Seele des Unternehmens haben.
Man muss als Unternehmer wissen, ob, wann und wie man Design einsetzt: Hat man nur eine oberflächliche Verletzung, für die eine Salbe reicht, oder braucht man etwas mit Tiefenwirkung? Hier müssen Unternehmen eine Sensibilität entwickeln, um den Grad der Verletzung und damit der notwendigen Pflege richtig einschätzen zu können.
Dies bedeutet für die Designer, dass sie genau auf das Unternehmen schauen müssen, für das sie arbeiten. Wenn sie zu einem nachhaltigen Mehrwert beitragen wollen, müssen sie die richtige Diagnose stellen. Nur auf der Basis von Professionalität und tiefem Verständnis der Unternehmenskultur und des Marktes lässt sich dies erreichen.
Es braucht daher ‚Designer mit dem Verständnis’, dieser Komplexität gegenübertreten zu können, um diesen Mehrwert auch zu erzeugen. Ob als individuell Arbeitender, ob in einer Agentur oder in einem Corporate Environment: Es gilt den Blick für das Essentielle zu haben und nicht die eigenen Designgrundsätze durchsetzen zu wollen.
Die Kollegen beweisen dem Design als Profession nicht viel Gutes, indem sie vielmehr sich selbst im Ergebnis ihrer Arbeit verwirklicht sehen wollen oder indem sie gar ihren Status des Objektkünstlers als Imagetransfer zur Verfügung stellen. Letzteres kann einen interessanten und wichtigen Kulturbeitrag leisten, wird aber keinen nachhaltigen Effekt auf die Unternehmenskultur haben.
Ich vergleiche die Designzunft denn auch gerne mit dem Gastronomiegewerbe – man muss als Restaurant stehen zu dem, was und wie man kocht: Mit einer Bratwurst gegen einen Würstelstand zu konkurrieren, macht für ein 5-Sterne-Restaurant keinen Sinn und wird ihm keinen Wettbewerbsvorteil bringen – auch wenn die Wurst noch so delikat zubereitet ist.
Der Umkehrschluss gilt hier auch: Ein Würstelmann im Livree ist belustigend, aber es wird keinen nachhaltigen positiven Effekt auf den Umsatz haben, wenn er ‚standesgemäß‘ seine Würstel mit Wachteleiern garniert und zu 20 Euro anbietet.
Ein einheitliches Rezept im Design fruchtet nicht. Jedes Unternehmen braucht auf der Grundlage seiner Kultur, seines Marktumfeldes, seiner Produkte und Dienste einen adäquaten Designpartner mit genau diesem ‚Verständnis’.
Die Designzunft muss sowohl in der Ausbildung als auch in der Zusammenarbeit untereinander mehr auf diese Anforderungen eingehen; Weg von den elitären, Pfeife-rauchenden Designpäpsten und den Cut&Paste Design-Kopierern, hin zu professionellen Partnern der Unternehmen.
Damit das gelingt, müssen sich die Unternehmen hierfür öffnen und den Kontakt zu Design bewusster suchen.
Viel wichtiger noch scheint mir, dass die Design-Community, jeder auf seinem Niveau, gemeinsam Anstrengungen unternimmt, die eingeschlafenen Unternehmen mit ihren tief-verwurzelten Kulturen und langen Traditionen vom Marktfaktor Design zu überzeugen.
Nicht, indem wir sie wecken mit einem Design-Gebrüll, sondern indem wir sie sanft wach küssen und ihnen helfen beim Aufstehen.