systemfehler

Ein Unternehmen ist ein System. Es besteht aus verschiedenen, voneinander losgelösten Teilen, die aber wiederum in einem Zusammenhang stehen. Läuft eines dieser Teile nicht rund, dann merken es die anderen: Das System hat dann eine Schwachstelle, welche die Leistung des Ganzen negativ beeinflusst. Auch der Kunde ist ein Teil dieses Systems „Unternehmen“ und er ist der Teil, der öfters nicht „rund läuft“. Kein Wunder, dass viele Unternehmen ihn am liebsten aus dem Gefüge herausnehmen würden. Und viele handeln dann auch danach.

Unsere Welt ist auch ein System, eines, das viele andere Systeme in sich vereint. Die Meere, die Wälder, das Klima – alles komplexe, fein kalibrierte Organismen mit einem Systemcharakter, das, wenn es aus dem Rhythmus geworfen, sich meist wieder anpassen kann, um als System wieder zu funktionieren. So lange, bis die Schwachstelle größer ist, als die Fähigkeit des Systems, diese zu reparieren. Dann kollabiert das Ganze: Die Systemfehler sind die verflixten Probleme unserer Welt!

Vor allem die Landwirtschaft ist ein System, das mit verflixten Problemen zu tun hat. Ist dort die selbstheilende Kraft mit einem Mal aus dem Lot geraten, z. B. durch Überdüngung, den Folgen einer Monokultur oder Überalterung des Bestandes, dann droht der Kollaps durch Systemfehler. Viele Landwirte entwickelten daher ihren sagenumwobenen ‚Bauernverstand‘, mit dem sie das System ‚in den Griff’ bekamen. Quasi mit Bauchgefühl sind sie in der Lage, die richtigen Anpassungen vorzunehmen, die nötig sind, um Systemfehler zu vermeiden. Die über Jahrtausende erworbenen Erkenntnisse, wie dieses System funktioniert und wo und wann man es ‚angreifen‘ kann, um es zu steuern, münden in einem Systemdenken, das, wenn entsprechend vermittelt, auch noch in Zukunft von unermesslichem Dienst sein kann – wenn nur das System so bliebe, wie es bislang war…

Denn über die letzten Jahrhunderte schlich sich das Funktionsdenken ein, beflügelt durch die Industrialisierung. Im Vordergrund stand nunmehr die Verfeinerung der Teilfunktionen und die Entwicklung von Maschinen und Produkten, welche die Effizienz beflügeln konnten. Der Einsatz dieser neuen Mittel in einem alten System wie der Landwirtschaft führte zwangsläufig dazu, dass sich auch das System änderte. Die überlieferten Weisheiten mussten nun mit den neuen Möglichkeiten kombiniert werden. Und das geht nicht immer gut, wie die Geschehnisse der letzten Jahre eindrucksvoll illustrieren: Einmal falsches Futter an die Kühe und schon steht das System vor dem Kollaps und nicht nur die Rinder werden wahnsinnig. Das Eis, auf dem man läuft, wird immer dünner.

Was bewirkte die Einführung dieses Funktionsdenkens denn bei uns? Mit der Entwicklung perfektionierter Teilfunktionen veränderte sich auch unsere Sicht: fortan richteten wir sie auf die Teilaspekte und nicht mehr auf das ganze System. Da uns diese Maschinen eine direkte Rückkopplung geben und unsere Befehle direkt umsetzen, rücken sie sich zwangsläufig in den Vordergrund. Denn eine Funktion ist herrlich direkt und entsprechend ‚funktional‘ und daher für uns einfach zu verstehen. Ein System kann man nur indirekt beeinflussen und verstehen, denn die Rückkopplung kommt zeitlich versetzt. Um sich darin zu recht zu finden, erfordert ein komplexeres Verständnis der Abläufe. Daher tendieren wir wohl auch beim Autofahren vornehmlich dazu, auf das Tacho zu achten und nicht auf das Geschehen 200 Meter vor uns – obwohl uns jeder erfahrene Autofahrer bestätigt, dass genau Letzteres größere Fehler vermeidet. Vorausschauend Fahren ist ein Systemdenken, das verflixte Problem vermeiden hilft!

Genauso ergeht es der Wirtschaft, wo das Funktionsdenken auch die Oberhand hat. Auch dort schaut man auf die ‚Tachos’ der Unternehmen und misst den Umsatz, die Rendite und die Kundenzufriedenheit. Und auch hier zeigen jene Instrumente nur das, was man vor der Nase hat, und nicht das, was einen erwartet. Man ist so angetan von der Direktheit dieser Messungen, dass man sie nutzt, um das System des Unternehmens zu steuern. Die Gefahr dabei ist, dass man verlernt, die Aussagen dieser Messungen auf das ganze System zu übertragen, indem man antizipiert, was die folgende Auswirkung sein könnte. Bremst ein Auto in der Kolonne weit vor mir, dann bremse ich auch – und nicht erst, wenn mein direkter Vordermann es tut. Besser noch, ich weiche gleich aus (und beobachte im Entsetzen, wie ein Hintermann ins Stauende kracht). Deswegen erkennen Unternehmen, dass sie ihrer Unternehmenssteuerung einen wichtigen Aspekt hinzufügen müssen: vorausschauendes Gestalten!

Systeme haben aufgrund ihrer Komplexität und der vielen Teilaspekte eine immanente Verzögerung. Wie bei Blitz und Donner sind die Signale und der Widerhall entkoppelt. Leider blitzt es bei vielen relevanten Hinweisen auf Fehler nicht vorher, man merkt es erst, wenn’s kracht! Um in einem System (Wirtschaft) zu überleben, braucht man vorausschauendes Handeln, antizipierendes oder auch empathisches Denken, als auch die Mittel, Optionen für systemverträgliche und somit nachhaltige Lösungen zu gestalten.

Das bedeutet, dass man nicht blind auf direktes Feedback vertrauen darf, sondern auf Indikatoren achten muss, die etwas aussagen über das, was kommen ‚könnte‘! Nebst Erfahrung braucht es dafür eine Haltung, die es zulässt, den Blick vom Tacho und dem Vordermann auf das System als Ganzes zu richten. Das ist ein Systemdenken, oder auch designhaftes Denken, von dem mein Großvater immer sagte, es sei der gesunde Menschenverstand. Denn wer viel misst, misst viel Mist!

Wenn Sie schon etwas messen wollen, dann bitte dies:

  • Nachhaltige Ziele: Sind die Teilfunktionen auf den Erhalt des Systems ausgerichtet, statt auf den Erhalt der Funktion? (Z.B. Wertsteigerung über 10 Jahre statt Quartalsziele im EBIT, Nutzbarkeit statt Time to Market).
  • Loyale Motivation: Sind die Kunden motiviert, wieder zu kommen, oder haben sie nur konsumiert? Gilt Gleiches für die Mitarbeiter? (Z. B. Loyalität statt Zufriedenheit, Weiterempfehlung statt Marktanteil)

Schreibe einen Kommentar