regen

Haben Sie Kinder? Wenn nicht, auch egal, denn Sie werden sich noch erinnern an die Elternsprechtage! Dieses Umhergerenne auf dem Schulgelände, auf der Suche nach dem Raum, in dem der betreffende Lehrer oder die Lehrerin auf die Eltern und deren Schulkinder wartet. Je nach ‚Leistungsstand‘ des Sprösslings sind es dann wenige oder recht viele dieser ‚Sprechstunden‘ und je nachdem ist es eine Pflichtübung oder eine Tortur.

Letztens war es wieder soweit und kaum dass ich mich versah, war ich schon wieder runter vom Schulgelände. Gerade mal 10 Minuten pro Lehrer/in für den Schnellcheck und die Kontrolle der Performanz im Unterrichtsfach.
Seit diesem Elternsprechtag ist meine Motivation, meine Tochter zum Schulgang zu animieren, wieder am Tiefpunkt angelangt: Ich selber jedenfalls würde nicht in diese Schule wollen! Und dabei handelt es sich nicht um eine runtergekommene ‚Hauptschule‘ in einem runtergekommenen Stadtteil, sondern um ein angesehenes Gymnasium in einer Kleinstadt im Umkreis von Düsseldorf. Aber das heißt ja bekanntlich gar nichts!
Jetzt hoffe ich, dass meine Tochter das Ganze unbeschadet übersteht. Vielleicht hält sie durch und entdeckt ihre Talente dann in der Zeit, wo sie zuhause ist, oder auf dem weiteren Bildungsweg.

Dabei liegt es, so glaube ich, nicht an den Lehrer/innen, dass diese Schule es so schwer hat, meine Tochter in ihrer Entwicklung allumfassend zu fördern. Sie tun ihr Bestes. Sie tun das, was das System ‚Schule‘ ihnen an Möglichkeiten gibt, aber auch das, was das System ihnen als Methode vorschreibt. Und diese Methode ist die gleiche, die in vielen Unternehmen, Behörden und Organisationen wütet: Es ist ein ganz und gar ‚unmenschliches‘ Vorgehen. Denn diese Methode betrachtet das Lehren als Prozess und die Schüler als dessen Produkt, genauso wie die Industrie mittels Prozessen Produkte und Dienstleistungen produziert. Und wie in einem ‚gut‘ gemanagten Prozess wird die ‚Entwicklung‘ standardisiert und die Qualität überprüft. (Wie, mehrfach eine 6? Dann aussortieren!) Solche Methoden eignen sich zum Bau von Hochhäusern, nicht zum Bau von menschlichen Fähigkeiten.

Hier tappt die Schule in dieselbe Falle, in der sich viele Unternehmen auch verheddern. Sie hält an einem System fest, das aus der industriellen Zeit stammt, das die Abläufe standardisiert und mechanisch plant und dabei Kunden (oder eben Schüler) als ebenso zu standardisierende ‚Nutzer‘ betrachtet. Dieses System lebt von der Eigenschaft, sich und die Entwicklung ständig zu überprüfen, und hat als Ziel, alles in ‚geordneten‘ Bahnen zu wissen: ein ‚technisches‘ System eben, kein menschliches. Dieses System bestimmt, wie die Dinge sein sollen, nicht wie sie sein könnten: In ihr ist kein Platz für Individualität und ‚abnorme‘ Eigenschaften, für Ungenauigkeit und Alternativen. Und wie wir wissen, sind die Menschen genau das: individuell, nicht normiert, ungenau, voller Alternativen!

In einem kurzen Anflug von Euphorie sprach ich eine Lehrerin auf das ‚Problem‘ der nicht gleichen Charaktere an, das es so schwierig macht, den normierten Unterricht abzuhalten. Sie roch sofort Lunte und wir sprengten die 10 Minuten um weitere 5 – bis die nächsten dran waren. Auch sie war mit mir einer Meinung, dass sich der Unterricht mehr auf die Unterschiede der Schüler richten soll, als auf das Bestreben, alle auf ein normiertes Maß zu bringen. Leider sei sie ja nur Französischlehrerin und sähe keine Möglichkeit, hier groß etwas zu ändern.
Daraufhin konnte ich berichten, dass es in der Industrie genauso zugeht: auch dort versuchen alle krampfhaft an den mechanischen Abläufen festzuhalten und alles in ein normiertes Maß zu zwingen.
Wir stießen beide einen Seufzer aus und in der rheinischen Gewissheit, dass es noch immer gut gegangen ist, verabschiedeten wir uns auf’s nächste Mal.

Ein Fürsprecher der besseren Schulbildung, Ken Robinson, fand wieder eine herrliche Analogie zum Zustand der Bildung, in dem er sagte, es befände sich im ‚Death Valley‘. Dort, so sagte er, sei nichts tot, sondern nur ruhend. Es wirke nur tot, weil es nie regnet. Geschieht dies mal, dann erblühen die ruhenden Organismen. Genauso wäre es mit den Talenten der Schüler: ein passender ‚Regen‘ und sie können sich entfalten. Der ‚Regen‘ ist dabei nichts anderes als ein menschzentriertes Vorgehen, das sich auf die verborgenen Talente des Einzelnen richtet und diese zum Erblühen bringt.

Ebenso geht’s doch in der Wirtschaft zu, wo vieles tot erscheint, bis ein neuer ‚Regen‘ die ruhenden Ressourcen entfaltet. Fragt sich, mit welcher Regenkanne kann man da ans Werk gehen? Oder braucht es doch eine Sintflut? Eine, die das mechanisch-dominierte Denken hinfort spült und dabei ein mensch-orientiertes Denken zum Erblühen bringt!
Egal ob mit Kanne oder einer Flut, um das Death Valley zu ‚bewässern‘, braucht man vor allem Überzeugung und Mut!

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  1. Heinz Jürgen sagt:

    …. allzu lange wird’s wohl nicht mehr dauern, bis – zuerst in Industrie, Handel und Dienstleistung, dann auch in Organisationen und Schulen! – gemäß individueller Fähigkeiten ausgebildet/eingestellt wird und nicht entsprechend normierter (Best-)Leistung. Treiber dieser hoffentlichen Entwicklung: der demografische Wandel. Wie sonst sollte ein Defizit an Fach- und Führungskräften in den nächsten Jahren ausgeglichen werden? Bei gleichbleibender Beschäftigungslage werden Millionen weniger Menschen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen als heute. Ganz gute Voraussetzungen auch für fähige = kreative Personalberater, oder?
    Grüße
    Heinz Jürgen

  2. Christiane sagt:

    Hallo Jan-Erik, Du schlägst Lernpflicht vor statt Schulpflicht – eigentlich sind es Lern-, Spiel- und Informationsrechte – keine Pflichten. So steht es in den UN Kindergrundrechten, die seit 1992 auch in Deutschland gelten. Schule verhandelt eines von Kindern meist begehrten Gütern: Wissen. Komisch nur dass sich manche Schulen benehmen, als ob Wissen saure äpfel sind, wo ich doch denke das es eher mit warmen Semmeln zu vergleichen wäre… Liebe Grüsse, Christiane

    • wer die Pflicht hat, sollte auch das Recht dazu haben 😉 Auch etwas, das oft ‚entkoppelt‘ wird! Bin völlig einig mit Dir, man könnte die Schüler öfter mit Honig locken, statt mit Saures. LG!

    • wer die Pflicht hat, sollte auch das Recht dazu haben 😉 Auch etwas, das oft ‘entkoppelt’ wird! Bin völlig einig mit Dir, man könnte die Schüler öfter mit Honig locken, statt mit Saures. LG!

  3. Stefan Maas sagt:

    Sehr schön beschrieben, finde ich. Habe selbst schon länger den Eindruck, dass die Schüler heute ständig unter Druck stehen, ständig überprüft werden. Wir hatten damals offenbar mehr Zeit zum Spielen, für freiwillige AGs am Nachmittag etc. Bei BA/MA geht es dann so weiter: Möglichst schnell Wissen verabreichen und mundfertige Pakete für die Wirtschaft abliefern. Persönlichkeitsentwicklung geht anders; der Cartesianismus feiert weiter Triumphe.

  4. ha sagt:

    Hi Jan-Erik! Wenn ich mir ansehe, wie mühsam sich die Diskussion zwischen Lehrergewerkschaft und Unterrichtsministerium um ein neues Lehrerdienstrecht in Österreich schon jahrelang dahinwälzt, habe ich wenig Hoffnung, dass sich da bei meinen Kindern (der Ältere kommt im Herbst in die Schule) rasch was ändert.
    Ob da das Ministerium, die Lehrergewerkschaft, oder gar die Lehrer dran schuld sind, ist nur mehr schwer zu beurteilen.
    Ich habe, als ich selbst noch unterrichtet habe, einige innovative LehrerInnen kennengelernt, der Großteil hat sich allerdings von diesem trägen System einlullen lassen, wogegen in Wellen immer öfter und vermehrt Eltern und sogar Kinder revoltieren. Denn der bequemste Weg (für SchülerInnen) ist nicht immer der Beste. Aber erfahrungsgemäß tut sich erst Wesentliches, wenn die Wirtschaft Druck macht. Bestes Beispiel – die Fachhochschulen. Die Industrie wünschte sich gut ausgebildete, praxisorientiere Studienabgänger, die in kurzen, kalkulierbaren Zeitabständen für die Industrie verfügbar sein sollten. Die Folge: Die FHs schossen wie die Schwammerln (Pilze) aus dem Boden. Mittlerweile gibt es eine unglaubliche Vielfalt, die zur Bereicherung des Österreichischen Bildungssystems beiträgt. Eine Erfolgsstory, die der Basis Grundschule bisher verwehrt blieb. Vermutlich, da die Industrie an allgemein gebildeten noch zu wenig Interesse hat (also fehlende Lobby) und wie gesagt in Österreich die Lehrergewerkschaft so mächtig ist, dass selbst Ministerien den Kürzeren ziehen. Das Paradoxe daran ist, dass eine einst zum Schutze der Arbeitnehmer eingerichtete Institution mittlerweile mehreren Generationen von Schulkindern und auch der Wirtschaft in Österreich schadet. Da ändern auch (leider gefloppte) Bildungs- Volksbegehren und PISA Tests nichts daran. Die Lethargie hat sich längst auf die Lehrerschaft und auch schon auf die Schüler übertragen. Diejenigen, die dagegen ankämpfen – habe ich selbst erlebt – resignieren bald als Einzelkämpfer vor den überdimensionalen `Windmühlen`.
    Fazit: Solange nicht die `Kunden`=Schüler bzw. deren Vertreter=Eltern gegen diesen Unbeweglichkeit und das krampfhafte Bewahren Pfründen der Krake Gewerkschaft revoltieren, wird sich an der Situation in absehbarer Zeit nichts ändern!
    Also an alle `Jan-Eriks` – bitte zu den Elternsprechtagen pilgern, sich über das herrschende Schulsystem und die `Bewahrer` auf-regen und nicht über die Lehrer! Wäre nicht Schulpflicht in Ö, sogar im äußersten Falle `Schul-Konsumentzug` – stellt euch vor es ist Schule und keiner geht hin. Da würde die riesige Lehrerschaft relativ schnell daran interessiert sein, auch unter einem, an die aktuellen Arbeitsmarktverhältnisse und zukünftigen Anforderungen angepassten, Dienstrecht zu arbeiten, das auch unseren SchülerInnen zugute kommt!

    • Hoi Ha!

      Letzteres habe ich dann auch meiner Tochter vorgeschlagen, doch sie wollte nicht – nicht hingehen. Sie sitzt es jetzt aus, was auch ihr o-ton ist. Ähnlich wie viele Kollegen, die ich mal hatte, die es auch ‚ausgesessen‘ haben und immer noch aussitzen!

      Bezeichnend ist doch, dass es Schulpflicht heisst und nicht Lernpflicht.
      Das Problem ist unsere Obsession für Regeln von Außen, für extrinsische Motivation. Es klebt an uns wie Pech und Schwefel. Solange wir diese Obsession nicht überwinden, müssen wir es aussitzen.

      PS: mein anderes ‚Kind‘ war übrigens auf einer Waldorfschule und empfand das ‚Aussitzen‘ wesentlich angenehmer. Da geht doch schon was.

      • ha sagt:

        Hi Jan-Erik, bestimmt haben unsere politischen Vertreter die Erfolgs Schulmodelle aus dem hohen Norden eingänglich studiert und inhaltlich analysiert. Die PISA Studien haben ja den Neid entsprechend angeheizt. Da war sicherlich alles komplett schlüssig und klar, bis man zu dem Punkt gekommen ist, wo Politiker, Lehrer, Eltern und auch Schüler über ihren Schatten springen mussten. Da war dann Sendepause. Längere Arbeitszeiten, freiwillige Dienste privates Engagement, mehr Geld und vieles mehr – da setzte es bei allen schnell aus. Nicht mehr Geld vom Staat, weil keine Reformvorschläge (bzw. keien , die die Gewerkschaft bisher akzeptiert hätte), keine Unterstützung von der Industrie, weil zu weit weg vom Arbeitsleben, Resignation der Eltern und Schüler, weil keine Bewegung und Visionen. Wie geht`s weiter? lg ha