eine designaufgabe

Es war ein schrecklicher Anblick: Ein Wirrwarr an Kabeln, Schläuchen und Metallteilen hing von der Decke herunter und verlieh dem Ganzen den Eindruck einer Folterkammer, ganz so wie man es aus den alten schwarz-weiß-Horrorfilmen kennt – Frankenstein lässt grüßen. Für das Personal schien dieser Eindruck eher Nebensache, denn das Hauptaugenmerk lag ganz beim Patienten. Wie ich noch herausfinden sollte: Gemeint war der ‚medizinische Fall‘ des Patienten und nicht zwangsläufig auch dessen Befindlichkeit- ein subtiler, aber wichtiger Punkt.

Die erwähnte Gräuelkammer war ein Operationssaal, in dem man mittels Katheterisierung den Patienten die Herzkranzgefäße aufweitet, sodass sie wieder die Treppen hochkommen. Für den behandelnden Kardiologen alles Routine, für unsereins eine rechte Tortur, zumal die wirkliche Qual ja schon in der Erkrankung selbst liegt.

Wir Designer durften einige Eingriffe aus der Nähe beobachten, denn es galt, den Nachfolger des aktuellen medizinischen Geräts zu gestalten, eine Art Röntgenkanone, die sich um die Patienten aufbaut, um sie dann mit ‚minimalen‘ Dosen zu durchleuchten (was auch nicht gerade zur deren Beruhigung beiträgt). Die Kardiologen (meinst stämmige Männer, die vom ganzen Tragen der Bleiweste recht gut in Schuss sind) sind allerdings nicht wirklich in der Lage, den Patienten zu helfen, denn sie konzentrieren sich voll und ganz auf die vielen Monitoren, die auch von der Decke hängen – dort passiert alles Wichtige und man kann kontrollieren, wie sich der Katheder seinen Weg zur Verengung bahnt.

Deswegen gilt es beim Entwurf einer solchen Anlage vor allem die ergonomische Gestaltung zu perfektionieren und alle Bedien-Elemente so zu platzieren und zu formen, dass der Arzt sie quasi blind bedienen kann- was er dann auch tut, denn er schaut – wie gesagt – nur auf die Bildschirme.

Ganz ab und zu sprach der behandelnde Arzt mit den Patienten, ohne diese anzuschauen. „Jetzt einatmen!“, hieß es da kurz, oder auch „Jetzt ruhig bleiben!“ etwas lauter und bestimmter, denn der Erfolg und auch die Dauer des Eingriffs hängen unter anderem davon ab, wie ruhig die Patienten, die in der Regel nicht narkotisiert, sondern bei vollem Bewusstsein sind, das Ganze mitmachen.

Nun, nach einer spannenden Designaufgabe klingt das alles nicht, flotte Renderings lassen sich da nicht erzeugen, die Mappe wird eher ‚lau‘ statt ‚wow‘ – so dachte ich anfänglich. Aber mit wachsendem Interesse fiel meinen Kollegen und mir auf, dass die Patienten viel wichtiger waren, als wir zunächst dachten. Blieben diese ruhig, dann war’s schnell vorbei. Waren diese unruhig, lief auch der Eingriff nicht rund und dauerte länger, was doppelt blöd war. Also verlegten wir unseren Fokus auf die Patienten. Da kann man sicher noch etwas verbessern!

Als alle Eingriffe vorbei waren und der Raum von uns Entwicklern und Designern genutzt werden konnte, legte ich mich also auf den OP-Tisch und schaute mir alles aus der Sicht der Patienten an. Als ich da so lag und ein paar Fotos schoss, fragten die Entwickler, was ich überhaupt mache – auch der Kardiologe schüttelte den Kopf: „Die Designer“, konnte ich vernehmen.

Kaum waren wir im Studio, legten wir auch schon los und gestalteten das System so, dass es aus der Sicht der Patienten weniger furchteinflößend wirkte und dass es einige Punkte gab, an denen sie visuellen ‚Halt‘ finden konnten. Um dies zu erreichen, suchte mein Kollege neue Fertigungstechniken, während ich die Renderings ‚schrubbte‘, die doch gar nicht so schlecht wurden wie befürchtet.

Der Entwurf war uns gut gelungen, so fanden wir, jedoch waren die Entwickler und Produktmanager gar nicht begeistert. Was uns einfiele, so aufwändige (Produkt)Teile zu entwerfen, die auch noch Werkzeugkosten verursachten und dabei dann obendrein ganz Oben am Produkt platziert wurden. „Da schaut der Kardiologe doch nie hin und schmutzig wird’s dort auch nicht!“ So oder ähnlich war der Einwand eines Kollegen aus dem Business.

Trotzdem ließen mein Kollege und ich nicht locker und konnten nach und nach die Kollegen umstimmen. Letztendlich wurde der Entwurf, so wie wir ihn konzipiert hatten, angegangen und zu guter Letzt rechnete sich auch der Business-Case. Noch mehr überzeugt waren dann die Kollegen im Business, als es massenhaft Designpreise hagelte und somit ihre Medizintechnik mit Anerkennung bedacht wurde- das machte stolz, jedoch, es erfüllte noch nicht die Umsatzziele…

Als dann auch diese weit übertroffen wurden, fing man an, nach dem Grund des kommerziellen Erfolges zu suchen. Da meldete sich ein Kardiologe aus Florida mit dem Hinweis, dass er auch nicht wisse, was jetzt anders sei als beim Vorgänger, „aber beim neuen System bekomme ich am Tag mindestens zwei Patienten mehr durch!“ Irgendwie sind die alle viele ruhiger… „Da habe ich gleich noch zwei Systeme bei euch bestellt…“ schloss er seinen Bericht ab.

Na dann, q.e.d.!

Schreibe einen Kommentar